Tunesiens Interimspräsident bekennt sich zur Entmachtung der bisherigen Staatspartei, der er selbst angehörte. Proteste auf den Straßen gehen weiter.
Nach den heftigen Protesten gegen Exponenten des bisherigen autoritären Regimes in Schlüsselpositionen der Übergangsregierung hat der tunesische Interimspräsident Foued Mebazaa seinen Landsleuten am Mittwochabend in einer Fernsehrede einen "totalen Bruch mit der Vergangenheit" und eine vollständige Trennung zwischen dem Staat und der bisherigen Staatspartei RCD versprochen.
Er verpflichte sich, alles zu tun, damit die Ziele der Revolution der "Würde und Freiheit" erreicht würden. Mebazaa, der als Parlamentspräsident die Funktionen des Staatschefs vorübergehend ausübt, war ebenso wie Premierminister Mohamed Ghannouchi ein treuer Gefolgsmann des nach Saudi-Arabien geflüchteten langjährigen Diktators Zine el-Abidine Ben Ali
Gegen wurde ein Verfahren eröffnet. Es soll klären, ob der 74-Jährige und seine Familie illegal ein Vermögen angehäuft und ins Ausland geschafft haben. Das Fernsehen meldete inzwischen die Festnahme von 33 Mitgliedern des Ben-Ali-Clans.
Minister verlassen Partei von Ben Ali
Indes verlassen einem TV-Bericht zufolge alle Mitglieder der Übergangsregierung die Partei des gestürzten Machthabers Zine al-Abidine Ben Ali. Das berichtete das Staats-Fernsehen am Donnerstag. Auch die tunesische Nachrichtenagentur TAP berichtete, die Mitglieder der RDC in der Regierung seien von ihren Aufgaben innerhalb der Partei zurückgetreten. Die Minister kamen damit Forderungen von Demonstranten entgegen.
Politische Gefangene sollen freikommen
In seiner ersten Ansprache an die Nation versprach Mebazaa einen Neuanfang und eine Wiederaufrichtung des Landes. Mebazaa und Ghannouchi hatten zuvor ihren Austritt aus der Staatspartei bekanntgegeben, die in der Bevölkerung als Korruptions- und Unterdrückungsapparat gilt.
Die Freilassung aller politischen Häftlinge gab der als Chef der kleinen Demokratischen Fortschrittspartei (PDP) in die Regierung gekommene Minister für regionale Entwicklung, Najib Chebbi, bekannt. Auch von den Mitgliedern der verbotenen islamistischen Bewegung Ennahdha (Wiedererweckung) sei niemand mehr in Haft, sagte er.
Die nach der Flucht von Ben Ali gebildete und von früheren Ben-Ali-Vertrauten dominierte Übergangsregierung hatte die Freilassung der aus politischen Gründen Inhaftierten kurz nach ihrem Amtsantritt zugesagt.
Ausbreitung der Proteste befürchtet
Die Arabische Liga hat unterdessen vor einer Ausbreitung der sozialen Proteste in Tunesien auf die gesamte arabische Welt gewarnt. Die Araber seien "wütend und frustriert" wie nie zuvor, sagte Liga-Generalsekretär Amr Mussa am Mittwoch bei einem Wirtschaftsgipfel im ägyptischen Badeort Sharm el-Sheikh.
In Tunesien gingen die Proteste, bei denen in den vergangenen Wochen nach neuesten UNO-Angaben mehr als 100 Menschen starben, unterdessen in mehreren Städten weiter. Von Sicherheitskräften eingekreiste Demonstranten in Tunis forderten in Sprechchören "ein neues Parlament, eine neue Verfassung und eine neue Republik". Sie riefen zum "Aufstand" gegen die Präsenz von Ben-Ali-Vertrauten in Schlüsselressorts auf.
Die Polizei setzte Tränengas ein. Die erste Ministerratssitzung der neuen Regierung wurde am Mittwoch kurzfristig wieder vertagt. Sie werde erst am Donnerstag abgehalten, hieß es aus Regierungskreisen in Tunis.
(Ag.)