"Wir Basken sind immer zuerst Basken"

Parteigruendung Basken sind immer
Parteigruendung Basken sind immer(c) AP (BOB EDME)
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Unabhängigkeit: Dem Waffenstillstand der Terrororganisation ETA dürfte eine Parteigründung folgen.

Gute Sache“, nickt Mikel Agirre. Er lehnt am Tresen, dreht seinen Kopf und betrachtet die Wand gegenüber der Bar. Sie ist geschmückt mit Bildern lächelnder Gesichter. Hier in der Taverne Herriko im Stadtteil Indautxu in Bilbao sind sie beliebt. Gesichter von Menschen, die wegen ihrer Verwicklung in Aktivitäten für die separatistische ETA im Gefängnis sitzen. Ein Plakat darüber fordert die Freilassung aller Gefangenen. Der Zigarettenautomat ist beklebt mit einem Foto und der Biografie eines weiteren politischen Häftlings. Agirre nimmt einen Schluck Bier, horcht kurz auf, ob er das baskische Lied kennt, das im Hintergrund läuft. „Ja, die würde ich wählen.“

Agirre haben die Nachrichten gefallen: sowohl die Verkündung des permanenten Waffenstillstands der ETA als auch die jüngst wieder aufgefrischte Diskussion über eine neue, separatistische Partei im Baskenland. Eigentlich ist beides nichts Neues.

Einen Waffenstillstand hat die ETA, die von EU und USA als terroristische Organisation betrachtet wird, nun zum zwölften Mal in 40 Jahren angekündigt. Wenn es auch seit der letzten derartigen Nachricht im September vergangenen Jahres tatsächlich keinen Anschlag mehr gegeben hat, beendete die Organisation in der Vergangenheit den Frieden oft selbstständig und unangekündigt, nachdem die Aufmerksamkeit der Behörden abgenommen hatte. Die spanische Regierung reagierte daher verhalten auf das Kommuniqué.

Auch die Idee, eine Partei zu gründen, die die politischen Ziele der ETA verfolgt, hat es schon mehrere Male gegeben. Der derzeitige politische Arm ist die Partei Batasuna, die nur zwei Jahre nach ihrer Gründung 2001 verboten wurde, weil Verbindungen zur ETA geortet wurden. Seitdem versuchte die Organisation immer wieder unter neuen Namen an Wahlen teilzunehmen. Laut der jüngsten Nachricht der ETA soll nun ein weiterer Anlauf folgen, eine legale Partei zu werden. Aber dieses Mal soll alles anders sein. „Das Kommuniqué der ETA ist der wohl größte Schritt in Richtung Frieden in den letzten Jahren“, meint Pablo Muñoz, Journalist der baskisch-nationalistischen Zeitung „Deia“, der als Experte der Unabhängigkeitsbewegung gilt. Nur wenn die ETA auf Gewalt verzichte, könnten die politischen Ziele, die die Organisation verfolge, auch glaubhaft diskutiert werden.

800 Tote bei Anschlägen

Seit rund 50 Jahren kämpft die Terrororganisation für ein unabhängiges Baskenland. Bei Anschlägen sind bis heute über 800 Menschen gestorben. Der Beliebtheit der Organisation ist das schon lange nicht mehr zuträglich. „Zu Zeiten der Franco-Diktatur hielten noch mehr Menschen die Gewalt für ein legitimes Mittel. Aber heute will das niemand mehr“, sagt Muñoz. Weit über 90 Prozent der Basken wünschen sich die Auflösung der ETA. „Das Wichtigste ist das Ende der Gewalt. Die Menschen hier sind der ewigen Konflikte müde.“

Eine Art Nachfolgepartei der verbotenen Batasuna könnte dennoch eine starke politische Kraft im Baskenland werden. Wenn Batasuna in den vergangenen Jahren zur ungültigen Stimmabgabe bei Regional- und Gemeindewahlen aufrief, da sie selbst nicht als Partei zugelassen worden war, folgten bis zu 15 Prozent der Wähler dem Ruf. Unklar ist, ob das als guter Indikator für die potenzielle Kraft einer separatistischen sozialistischen Partei herhalten kann. Ein Anhaltspunkt sei es aber jedenfalls, meint Muñoz. Er glaubt, dass eine solche Partei bei den Regionalwahlen im Mai über 15 Prozent Stimmanteil gewinnen könnte. „Würde ETA sich ganz auflösen, könnten es auch mehr werden.“ Bisher ist weder der Name noch das inhaltliche Programm bekannt, wobei klar scheint, dass die politischen Ziele der ETA verfolgt werden – unter Verzicht auf Gewalt. Beides muss der Judikatur bis Ende Jänner vorliegen, damit auf Verfassungsmäßigkeit geprüft werden kann. Ob eine solche Partei zugelassen wird, ist ungewiss. Muñoz erwartet, dass keine Chance zur Zulassung besteht, wenn die Partei Mitglieder hat, die mit ETA oder Batasuna in Verbindung gebracht werden.

Parteien fürchten um Stimmen

Die Zulassung einer baskisch-sozialistischen Unabhängigkeitspartei dürfte jedenfalls nicht im wahlpolitischen Interesse der großen Parteien sein. Alle müssten um Stimmen fürchten. Sowohl die derzeit als Minderheit regierenden Sozialisten, die diese tolerierende konservative Volkspartei als auch die baskisch-nationalistische Partei, die die stärksten Fraktionen im Parlament sind. Einig sind sich die etablierten Parteien, dass dem Kommuniqué der ETA entscheidende Elemente fehlen, und nicht von einem definitiven Ende der Gewalt ausgegangen werden kann. Weder sei der Waffenstillstand bedingungslos noch gebe ETA ihren Kampf auf. Ein unabhängiger sozialistischer Baskenstaat bleibe denn weiter das Ziel, für das die Organisation einsteht.

Doch die Zulassung einer neuen Partei könnte auch helfen, den Terrorismus zu Grabe zu tragen. So wirbt Jesús Eguiguren, Fraktionsführer der baskischen Sozialisten, für die Zulassung einer demokratischen Partei, weil so der ETA der Wind aus den Segeln genommen werden könnte. Druck auf Premierminister Zapatero, sich auf die Separatisten zuzubewegen, kommt damit auch aus den eigenen Reihen. Einige der radikalen Basken, deren Gesichter die Wand in der Taverne Herriko schmücken, könnten dann entweder ihre Attraktivität verlieren oder politisch integriert werden.

Demokratischer Kampf

Eine neue Partei könnte den Kampf um die baskische Unabhängigkeit auf demokratischem Weg fortsetzen. „Deswegen werde ich sie wählen. Wir Basken sind immer zuerst Basken. Dann Europäer“, erklärt Mikel Agirre in der mittlerweile gefüllten Taverne. Und Spanier? „Basken sind wir. Keine Spanier.“

Lexikon

Das Baskenland ist seit 1979 eine autonome Gemeinschaft in Spanien. In der Region, dessen wichtigste Stadt Bilbao ist, leben 2,1 Millionen Menschen. Die Terrororganisation ETA verfolgt seit Jahrzehnten mit Waffengewalt die völlige baskische Unabhängigkeit von Madrid. Vor knapp zwei Wochen verkündete die ETA einen „dauerhaften Waffenstillstand“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2011)

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