Italien: Aufstand der Frauen im Macho-Land

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Italien Aufstand Frauen MachoLand(c) Dapd (Luca Bruno/AP)
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Gegen Premier Berlusconi wird wegen Prostitution mit Minderjährigen ermittelt, sein Fernsehen überschwemmt Italien mit Bildern halbnackter Mädchen. Doch nun gehen die Frauen in Italien auf die Straße.

Man soll, das hat Elena Maria M. in einem langen Leben gelernt, niemals „nie“ sagen. „Hätte ich mir vorstellen können, dass ich einmal ganz allein bin im Alter?“, fragt sie und lächelt dabei traurig. Ihr Blick schweift auf eine zarte Siebenjährige auf dem Klettergerüst vor ihr. „Und nur eine Enkelin zu haben?“ Elena Maria M. nestelt an ihren Fingern. Eine milde Februarsonne erlaubt es, schon draußen zu sitzen, auf dem Largo Oriani im bürgerlichen Stadtteil Monteverde, gleich oberhalb von Trastevere.

Der Spielplatz vor einer Schule aus der Mussolini-Zeit ist der einzige weit und breit. Elena Maria M. sitzt fast jeden Nachmittag hier, wenn sie ihre Enkelin abgeholt hat. Ihre Tochter arbeitet, unten in der Stadt. Man kennt sich, es ist ein Stück Dorf mitten in Rom. Und eine männerfreie Zone, Männer sieht man fast nie auf italienischen Spielplätzen. Noch so ein „Nie“, lacht Elena Maria M.

Nie hat sich die 79-Jährige auch vorstellen können, einmal einen Protest von Frauen zu unterzeichnen. Gewiss, sie hat ihr Leben lang gearbeitet, war Lehrerin, hat anders gelebt als ihre Mutter, doch man war immer noch katholisch, christdemokratisch, bürgerlich. Skeptisch hört sie den drei jungen Frauen neben sich zu, die sich über das Italien des Silvio Berlusconi erregen, in dem halbnackte Frauen im Alltag omnipräsent sind.

Dann wird noch ein „Nie“ geopfert. Denn sie haben ja recht, die jungen Mütter, findet M. „Ich will nicht, dass meine Enkelin mit solchen Bildern aufwächst.“ Vielleicht also wird sie doch unterschreiben, eine von Hunderttausenden Frauen werden, die öffentlich bekennen, dass dieses Italien, in dem dem Regierungschef eine Anklage wegen Prostitution mit Minderjährigen und Amtsmissbrauchs droht, nicht mehr ihr Land ist.

„Wir haben es nicht bemerkt“

Unter dem Motto „wann, wenn nicht jetzt?“ machen Frauen überall in Italien mobil, am kommenden Sonntag wollen sie auf die Straße gehen, sie sammeln Unterschriften und denken sich kreative Aktionen aus. Der Protest richtet sich nicht nur gegen Berlusconi. Oft fällt sein Name gar nicht. Es geht um das Frauenbild in seinem Italien.

„Italien ist bedeckt von einer dicken Schneeschicht von Bildern, die alles begraben hat“, sagt Francesca Comencini. „Und wir haben es nicht einmal richtig bemerkt.“ Als ihr das nach einem Abend mit Freundinnen klar geworden war, beschloss die bekannte Regisseurin, dass es an der Zeit sei, etwas zu tun. Sie sammelte ein paar Gleichgesinnte um sich, rief im Netz zur Unterschriftensammlung auf.

Die Reaktion sei überwältigend gewesen, sagt sie. „Wir wurden überschwemmt von Zuschriften und Reaktionen aus ganz Italien.“ Überall, so stellte sie fest, gibt es Frauen, die genug haben, und es handelt sich dabei nicht nur um die üblichen Verdächtigen aus linken Frauengruppen und Parteien. Auch eher als konservativ geltende Frauen wie die bekannte Anwältin Giulia Bongiorno haben sich anstecken lassen. „Die Würde der Frau wird in Italien tagtäglich verletzt“, sagt die Abgeordnete, die zu den Abtrünnigen rund um Gianfranco Fini gehört.

Entwicklungsland bei Gleichstellung

Die regierungskritische Presse feiert das bereits euphorisch als Beginn einer neuen Ära. Dabei hat Italien eine traditionell starke Frauenbewegung, auch in den vergangenen Jahren haben Frauen zu Hunderttausenden protestiert. Doch was die Gleichstellung angeht, ist Italien ein Entwicklungsland. Auf Platz 74 landet es im jüngsten Gender-Index des Weltwirtschaftsforums. Nicht einmal jede zweite Italienerin ist berufstätig, das ist der vorletzte Platz in Europa. Zwar sind mehr Frauen als Männer Akademiker, doch die wenigsten finden eine Anstellung, die ihrer Qualifikation entspricht, schon gar nicht in einer Führungsposition.

Kaum besser sieht es in der Politik aus. Quoten halten auch die meisten Frauen für überflüssig, und so es sie gibt, werden sie nicht eingehalten. Die politischen Führungszirkel sind praktisch frauenfrei, auch in den linken Parteien. Im Kabinett sind fünf von 23Ministern weiblich, nur zwei haben aber auch ein Ressort, und nur jeder fünfte Abgeordnete ist eine Frau.

Kinderbetreuung ist Mangelware

Zu tief sitzen im katholischen Italien traditionelle Rollenvorstellungen. Heilige, also Mutter und Hausfrau, und Hure, das ist das uralte Frauenbild einer nicht säkularisierten Gesellschaft, in der der Vatikan bis heute eine mächtige Zweitregierung ist. Eine große Mehrheit der Italiener ist noch immer der Ansicht, dass Mütter nach Hause gehören, und Hausarbeit halten auch linke Männer für eine Zumutung. Kinderbetreuung dagegen ist Mangelware. Wer es sich nicht leisten kann, ein Kindermädchen zu bezahlen oder keine Großmutter in der Nähe hat, scheitert spätestens nach dem zweiten Kind an einer eigenen Karriere.

Trotz dieser Hindernisse haben es einige nach ganz oben geschafft. An der Spitze der größten Gewerkschaft steht mit Susanna Camusso eine Frau, der mächtige Industriellenverband wird von Emma Marcegaglia geführt. „Es hat 100Jahre gedauert, bis eine Frau nominiert worden ist“, sagt die Stahlunternehmerin aus Norditalien. Kaum zufällig sei das gerade dann passiert, als es der Wirtschaft besonders schlecht ging. Als Rollenmodell für junge Frauen tritt sie, die aus einer konservativen Dynastie von Industriellen stammt, dennoch fast nie auf.

Im öffentlichen Raum dominieren vielmehr die „veline“, die Berlusconi mit seinen Fernsehsendern geschaffen hat. Heute bevölkern lasziv bekleidete junge Damen mit aufgespritzten Barbie-Lippen und prallen Silikonbrüsten fast jede Fernsehsendung, auch in der staatlichen RAI, und auch die Werbung. Junge Mädchen wie die Ausreißerin „Ruby“ Karima el-Mahroug, Tochter marokkanischer Einwanderer auf Sizilien, träumen von Karrieren als Edel-Callgirls, die vielleicht sogar mit einem hübschen politischen Amt belohnt werden. Nicht wenige werden dabei noch angefeuert von Eltern, die ein Leben als moderne Kurtisane für das größte Glück einer Tochter halten.

Geradezu prototypisch vorgemacht hat einen solchen Aufstieg Mara Carfagna, „die schönste Ministerin der Welt“, wie die europäische Boulevard-Presse jubilierte, als Berlusconis das Ex-Model ins Kabinett berief – als Frauenministerin. Andere sollten folgen, Nicole Minetti beispielsweise, die „Dentalhygienikerin“, der er zu einem Sitz im Regionalparlament der Lombardei verhalf. Das einstige Model steht heute im Zentrum der Ermittlungen gegen ihn, sie soll dafür gesorgt haben, dass bei seinen Parties immer genug junges Fleisch zur Verfügung steht. Weder den Einschaltquoten noch den Auflagen der Zeitungen hat das geschadet, im Gegenteil. Die Fernsehsender reißen sich um die aufreizenden jungen Damen, die zum „Harem“ gehören, und jeden Abend, zur besten Sendezeit, flimmern weiter Bilder, die an Pornografie grenzen, in die Wohnzimmer.

Monatelang hat Lorella Zanardo die Shows auf allen Kanälen aufgezeichnet und dann einen Film daraus geschnitten. „Der Körper der Frauen“ ist verstörend, schockierend, provozierend und wurde dennoch ein Kinoerfolg. Auch Zanardo engagiert sich heute bei den Frauenprotesten. Die Werbefachfrau aus Mailand kennt die Welt des schönen Scheins, hat lange im Ausland gelebt, und vielleicht bedurfte es dieses fremden Blicks.

„Warum wehren wir uns nicht?“, fragt die 52-Jährige, die ihren Film auch Schulklassen zeigt. Am vergangenen Wochenende lief er in Auszügen auf einer Veranstaltung in Mailand, an der prominente Intellektuelle und Schriftsteller wie Umberto Eco und Roberto Saviano teilnahmen. In der Sporthalle mit zehntausend Menschen herrschte danach Totenstille.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13. Februar 2011)

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