Hunderttausende sind in Italien auf die Straße gegangen, um gegen Regierungschef Berlusconi und das von Medien und Politik vermittelte Frauenbild zu protestieren.
Rom/Ag. Die Italienerinnen sagen jetzt wirklich „Basta!“: Nachdem seit Monaten die Sexaffären um den alternden Regierungschef Silvio Berlusconi das politische Leben und die Medien dominieren, sind hunderttausende italienische Frauen, aber auch viele Männer, am Sonntag auf die Straße gegangen, um gegen den Premierminister und das in Politik und Fernsehen seit Jahren vermittelte Frauenbild zu demonstrieren.
„Ora basta!“ („Jetzt reicht's!“), haben die Demonstrantinnen und Demonstranten von Mailand bis Palermo skandiert, die mehr Respekt für Frauen verlangen. In Mailand trugen die Frauen weiße Schals als Symbol des Protests, in der süditalienischen Stadt Andria hielten sie Blumen in der Hand. „Diese Blume steht für den Respekt und die Würde der Frauen, Worte die Berlusconi längst vergessen hat“, betonte eine Organisatorin des Protests.
Blumen und Schweinsschnauzen
In Rom standen vermutlich rund eine Million Menschen auf der Piazza del Popolo, der Verkehr in der Innenstadt kollabierte. Man sah auch Plakate, auf denen Berlusconis Gesicht mit Schweinsschnauze dargestellt war, auf anderen reckten sich dem Premier pralle nackte Hintern entgegen und er wurde als „Sex-Premier“ bezeichnet.
Dass Berlusconi (74) in seiner Privatresidenz ausschweifende Partys mit minderjährigen Callgirls organisiert hat, wie die Mailänder Staatsanwaltschaft behauptet, hat bei vielen Italienerinnen das Fass zum Überlaufen gebracht. Zahlreiche Bürgerinnen, Künstlerinnen, Politikerinnen und Schriftstellerinnen haben im Internet dazu aufgerufen, ein Zeichen zu setzen, und die landesweite Protestaktion organisiert. Mehr als 100.000 Mädchen und Frauen haben außerdem ein Manifest gegen das seit Jahren blühende, frauenverachtende Bild in den Medien und in der Politik unterzeichnet, in welchem Frauen, etwa in Shows auf Berlusconis TV-Sendern, fast ausschließlich zur hübschen (und betont dummen) Staffage degradiert werden.
Auch viele Männer kamen
Tausende Frauen schlossen sich spontan der landesweiten Mobilisierungsaktion an. „Italien ist kein Bordell“ und „Wenn nicht jetzt, wann dann?“, lauteten die Slogans der Frauenorganisationen. Zur Teilnahme an der Demonstration waren auch Männer aufgerufen, die „Freunde der Frauen“ seien, und diese kamen tatsächlich zuhauf.
Bei der Protestkundgebung in Rom war auch die Chefin des stärksten italienischen Gewerkschaftsverbands „CGIL“, Susanna Camusso, anwesend. „Wir protestieren gegen eine Führungselite, die alle Regeln missachtet. Die italienischen Frauen fühlen sich von diesem Premierminister beleidigt und degradiert“, betonten die Initiatorinnen der parteiübergreifenden Kundgebungen. „Nach dem Skandal wegen der minderjährigen Prostituierten im Hause Berlusconis kann man nicht mehr wegschauen. Die Würde der Frauen ist in Italien ein Problem, das uns alle betrifft“, sagte die rechte Parlamentarierin Giulia Bongiorno.
Frauen keine Rolle in der Politik
Die Demonstranten haben auch politische Forderungen gestellt: Sie klagen über Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt, den Mangel an Kinderbetreuung, fordern mehr Halbtagsjobs und Hilfe für Familien. Von den Protesten erhofften sich die Initiatoren auch, dass sich die Frauenorganisationen besser vernetzen werden.
Italien zählt europaweit zu den Ländern mit der niedrigsten Zahl an Frauen in der Politik. Mit 9,2 Prozent Frauen im Parlament ist Italien das EU-Schlusslicht. Jede zweite Frau hat keinen Job und meist auch die Suche danach aufgegeben. Italien ist neben Malta Europas schwarzes Schaf, was Frauenbeschäftigung betrifft: 48,9 Prozent aller Frauen haben hier keinen Job, besagt der aktuelle Bericht des nationalen Statistikamts.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14. Februar 2011)