Tunesier fliehen nach Italien: "Flüchtlingswelle wie 1989"

Lampedusa Migration Tunesien
Lampedusa Migration Tunesien(c) EPA (Ciro Fusco)
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5000 Tunesier sind in den vergangenen Tagen auf Lampedusa gelandet - eine Massenflucht wie beim Fall der Berliner Mauer, sagt Italiens Innenminister. Bei einem Bootsunglück sind mindestens fünf Migranten ertrunken.

Nach der Revolution in Tunesien und dem darauf folgenden Chaos sind in den vergangenen Tagen rund 5000 tunesische Flüchtlinge auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa gelandet. Die Kontrolle in den tunesischen Häfen funktioniert nicht mehr, berichten Flüchtlinge. Auf Aufforderungen aus Italien, etwas gegen den Flüchtlingsstrom zu unternehmen, reagierte die Regierung in Tunis zusehends wirsch: Man verbitte sich "jegliche Einmischung in innere Angelegenheiten", sagte ein Ministeriumssprecher.

Dennoch wurde dann am Montag über die die staatliche Nachrichtenagentur TAP verlautbart, dass in der Küstenregion Gabès mittlerweile alle möglichen Fluchtwege blockiert. Bereits am Wochenende habe die Armee mit Unterstützung der Nationalgarde und von Fischern mehrere Überfahrten nach Lampedusa verhindert. In den Häfen von Gabès und Zarat seien Kontrollpunkte installiert worden.

Druck aus Italien

Der Druck aus Italien nimmt unterdessen immer mehr zu: Innenminister Roberto Maroni hat bereits am Sonntag mit seiner Ankündigung aufhorchen lassen, er wolle italienische Polizisten in das nordafrikanische Land entsenden, um weitere Überfahrten zu verhindern. Er forderte angesichts der "Flüchtlingswelle wie im Jahr 1989" (beim Fall der Berliner Mauer, Anm.) die Unterstützung der EU. Außenminister Franco Frattini hat angeboten, dass italienische Behörden gemeinsam mit den tunesischen vor der Küste patrouillieren.

Tunesien erlebe "eine außergewöhnliche Phase", zugleich sei das Problem der Bootsflüchtlinge mit Ziel Italien jedoch nicht neu, hieß es es unterdessen aus Tunis.

Angesichts dieser "außergewöhnlichen Phase" ist am Montag die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton nach Tunesien gereist, um der Übergangsregierung politische und wirtschaftliche Hilfe anzubieten. Einen Monat nach dem Sturz von Präsident Zine El Abidine Ben Ali führt der Flüchtlingsstrom die drängenden Probleme von Arbeits- und Perspektivlosigkeit und die Notwendigkeit schneller Reformen vor Augen.

Mindestens fünf Tote bei Schiffbruch

Für die 150 Kilometer lange Überfahrt nehmen viele Migranten große Gefahren auf sich: In der Nähe der Ortschaft Zarzis ist ein altes Fischerboot mit mehr als 100 Insassen gekentert, mindestens fünf sind ertrunken, 17 werden noch vermisst. Augenzeugen berichten, das Boot sei von der tunesischen Küstenwache gerammt worden und gekentert. "Einige Offiziere an Bord lachten, weil einige von uns nicht schwimmen konnten. Sie haben Zeit verloren, bevor sie uns retteten", berichtete ein Augenzeuge nach Angaben der italienischen Nachrichtenagentur Ansa.

In den vergangenen fünf Tagen erreichten rund 5000 tunesische Flüchtlinge die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa. Allein in der Nacht zum Sonntag waren es laut Küstenwache fast 1100 Menschen. Italien hat den humanitären Notstand ausgerufen. Der Sonderkommissar für Flüchtlinge, Giuseppe Caruso, hat das vor zwei Jahren geschlossene Flüchtlingslager auf Lampedusa wieder geöffnet. 2000 Menschen befinden sich in dem Lager, in dem offiziell maximal 850 Personen untergebracht werden können. Der Zustand ist dramatisch, berichten italienische Medien. Viele Migranten mussten wegen Bettenmangels auf dem Boden schlafen.

Die italienischen Behörden planen, mit einer Luftbrücke 1000 Migranten auf Sizilien zu bringen. Über 2000 Migranten verbrachten die Nacht in dem Auffanglager der Insel, das wegen des Flüchtlingsnotstands nach zweijähriger Schließung wieder geöffnet werden musste.

Zahl der Bootsflüchtlinge stark gesunken

Die Anzahl der Bootsflüchtlinge in die EU war zuvor stark gesunken: Hatten im 3. Quartal 2009 noch 12.600 Menschen versucht, die EU auf dem Seeweg zu erreichen, waren es im 3. Quartal 2010 nur mehr 5000, geht aus den Zahlen der EU-Grenzschutzagentur Frontex hervor. Als Hauptgrund dafür werden die verstärkten Kontrollen in den nordafrikanischen Transitländern nach dem Abschluss entsprechender Abkommen mit der EU angeführt.

Dafür hatte sich der Migrationsstrom auf dem Landweg an der Grenze zwischen Griechenland in der Türkei dramatisch auf fast 29.000 im 3. Quartal 2010 erhöht (von 17.400 im 3. Quartal 2009). Der Großteil der Grenzübertritte erfolgte bei der griechischen Stadt Orestiada, wo auf einem 12,5 km langen Abschnitt der Grenze über Land verläuft und nicht wie sonst entlang des Grenzflusses Evros/Meric.

(Ag.)

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