Wien - Tripolis: Die zwei Gesichter des Saif Gaddafi

Wien Tripolis zwei Gesichter
Wien Tripolis zwei Gesichter(c) EPA (SABRI ELMHEDWI)
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Er studierte an einer Hietzinger Privat-Uni, vergnügte sich regelmäßig in Wiener Clubs, hatte viele Freunde im Westen. In seiner Heimat Libyen galt Saif Gaddafi als Reformer. Jetzt sind viele befremdet vom Verhalten des Diktatorensohns.

Vor vier Wochen noch saß Saif al-Islam Gaddafi im „Aux Gazelles“, seinem Lieblingslokal in der Rahlgasse im Bezirk Mariahilf. Immer wenn er in Wien war, stattete er dem Club mit der orientalisch-entspannten Atmosphäre einen Besuch ab. Der libysche Diktatorensohn mit dem eleganten Auftreten und dem kahlgeschorenen Kopf soll hier stets gut gelaunt und ziemlich spendierfreudig gewesen sein.

In den vergangenen Tagen machte Saif Gaddafi einen weniger entspannten Eindruck. Mit erhobenem Zeigefinger verteidigte er in Fernsehansprachen energisch das Regime seines Vaters. Bis zur letzten Patrone werde er kämpfen, versprach der gelernte Architekt und Ökonom. Gleichzeitig wiegelte er ab. „Von hunderten oder tausenden Toten zu sprechen“ sei ein „Witz“. Die Schüsse in den Straßen von Tripolis – „Feuerwerke“. Am Freitag nahm Saif dann in seinem TV-Studio in Tripolis Aufstellung. Leger gekleidet in Jeans und graubraunem Rollkragenpullover spielte er die Brisanz des Aufstandes für das internationale Publikum herunter: Lediglich der Osten des Landes, so erklärte er in fließendem Englisch, sei in der Gewalt der „Terroristen“; sie hätten dort ein „islamisches Kalifat“ ausgerufen. Saif sprach hastig, er wirkte unruhig, aufgeregt. Das Video, das beruhigen sollte, zeigte eines: seine Beunruhigung.

Was will Saif? Leidet auch er unter Realitätsverlust? Ein enger Wegbegleiter, der anonym bleiben will, glaubt, dass Saif ein klares strategisches Ziel hat. Der Diktatorensohn wolle den Raum um Tripolis halten und dann in Gespräche mit den Aufständischen treten. Zu solchen Verhandlungen rief Saif nun auch auf.


Reformhoffnungen enttäuscht. Bisher war die Rolle des Gaddafi-Sprosses eindeutig: Er war Saif, der Reformer. Saif, der Vermittler. Saif, das westliche Gesicht Libyens. Saif, der Maler, der Kosmopolit und spendierfreudige Lebemann, der sich in Wien gerne den schönen Künsten widmete.

Der einstige Hoffnungsträger Saif, der zweitälteste von Gaddafis sieben Söhnen, habe sie „verraten“, den Reformer nur „vorgespielt“, klagen nun verärgerte Exil-Libyer in Österreich wie der 33-jährige Ahmed Gefairi. „Er hat gewusst, was die Europäer hören wollen.“ Ein wenig „seltsam“ sei Saifs Performance tatsächlich, sagen auch ihm wohlgesinnte Wiener Bekannte, die Saif noch aus seiner Studienzeit an der Privatuniversität „Imadec“ in den späten Neunzigern kennen. Saif stehe „unter Druck“, glauben sie. Die Hoffnung des „Imadec“-Chefs, Christian Joksch, hat sich nicht erfüllt. Joksch war sich unlängst noch sicher, Saif wolle die bei seinem Studium in Wien gelernten „Tools“ für politische Reformen in seinem Heimatland anwenden. Doch dem ambitionierten Gaddafi-Spross ist auf seinem Reformweg ein Volksaufstand in die Quere gekommen.

Das Sich-Distanzieren vom Regime des Vaters, und mag es noch so brutal gegen die eigene Bevölkerung vorgehen, fällt nicht nur dem 38-Jährigen schwer. Dabei hat Saif wie viele andere Herrscherkinder eine Ausbildung im Westen genossen und führt einen „westlichen“ (sprich: ziemlich luxuriös-hedonistischen) Lebensstil. In Österreich und Großbritannien pflegte er Kontakte in Wirtschafts- und Politzirkel. Neben den Verbindungen zu Jörg Haiders FPÖ soll Saif auch mit dem deutschen SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier gut bekannt sein.

Und doch: Meistens treten die Diktatorenkinder trotz ihrer Ausritte in die Gefilde der Freiheit in die Fußstapfen ihrer Eltern. Denn verliert der Vater die Macht, steht der eigene Lebensstil auf dem Spiel. Und den will Saif, wollen die Gaddafis nicht missen: Mutter Safija soll noch vergangene Woche mit der einzigen Tochter Aischa auf Shoppingtour in Wien gewesen sein; Bekannte wissen von Einkäufen bei einem Juwelier in der Kärntner Straße. Überliefert sind auch Wochenendausflüge der Geschwister mit dem Privatjet nach Rom. Die Familie besitzt ein schmuckes Anwesen am Rande Londons. In München mietete man eine Villa für den jüngsten Sohn, als der dort „studierte“.

Die weiße Wiener Villa. Ein geräumiges zweistöckiges Haus steht auch am Ende einer ruhigen Gasse am hügeligen Rande Wiens; hinter dem weiß getünchten Anwesen mit Garten und Swimmingpool beginnen die Weingärten des Kahlenbergs. Inoffizieller Mieter: Saif al-Islam Gaddafi. Freilich steht an der Klingel kein Namensschild, nur ein höfliches „Keine Reklame bitte!“ klebt auf dem Briefkasten.

Saif hatte in Österreich – auch nach dem Tod seines Vertrauten Jörg Haider– einen engen Freundeskreis und besuchte Wien mehrmals im Jahr. Seine Vertrauten hier sind mehrheitlich Österreicher mit arabischen Wurzeln – wie etwa Wissam „Samo“ Kalai, der in der Wiener Innenstadt ein italienisches Restaurant betreibt. „Ruhig und höflich“ sei Saif bei seinen Besuchen stets gewesen, sagt Aux-Gazelles-Geschäftsführerin Christine Ruckendorfer. „Wohlerzogen“, fügt eine Mitarbeiterin hinzu. Der Alkohol sei stets in Strömen geflossen, bestätigen wiederum Augenzeugen; an Saifs Seite habe man wechselnde Begleiterinnen gesehen.

Saifs große Pläne. In einem Interview mit der „Presse“ sprach der stets als möglicher Nachfolger Gaddafis Gehandelte 2006 von seinem Wunsch nach Demokratie für Libyen: „Wir wollen ein wirkliches Parlament haben, freie Medien und freie Meinungsäußerung.“

Dafür ist es nun vermutlich zu spät. Am 2.März hätte es in Tripolis auf einem Volkskongress zu einer Machtverschiebung zugunsten der Reformer um Saif kommen sollen, berichtet ein Insider. Der Premier sollte gefeuert werden, ebenso wie einige korrupte Minister. Saif hatte angeblich große Pläne. Er wollte den Tourismus in Libyen aufbauen und mit der Korruption aufräumen. In den letzten Jahren waren Millionen, wenn nicht Milliarden Auftragsgelder versickert. Es war die alte Garde, die den Diktatorensohn und Schwester Aischa bremste. Diesen Eliten lieh auch Muammar Gaddafi stets sein Ohr, was zu schweren Konflikten zwischen Vater und Sohn führte.

In diesen Tagen hat Gaddafis Machtzirkel zwei Möglichkeiten: sich lossagen oder das Regime verteidigen. Saifs Vertrauter, bis zuletzt im Kontakt mit ihm, ist überzeugt: „Der Gaddafi-Clan ist bereit, bis zum Tod um die Macht zu kämpfen. Auch Saif.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2011)

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