Italien baut Transitlager für zehntausende Flüchtlinge

Italien baut Transitlager für zehntausende Flüchtlinge
Italien baut Transitlager für zehntausende Flüchtlinge(c) EPA (Mohames Messara)
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Die Lage an der libysch-tunesischen Grenze wird dramatischer. Deshalb und um einen Flüchtlingsstrom nach Italien abzuschwächen, errichten die Italiener ein Zeltdorf für 50.000 Menschen.

Italien will in einigen Tagen nahe der tunesischen Grenze ein Transitlager für mindestens 50.000 Flüchtlinge aus Libyen errichtet haben. Damit sollen jene, die vor den Bürgerkriegswirren in Libyen fliehen, Hilfe, Nahrung und medizinische Versorgung erhalten können, kündigte Außenminister Franco Frattini an. Das Camp soll "Villaggio Italia" (Siedlung Italien) heißen, die Zelte würden vom Roten Kreuz organisiert, berichtete der "Corriere della Sera" am Donnerstag. Zudem wolle Rom ein Schiff mit Hilfsgütern ins libysche Bengasi schicken, das in der Hand der Aufständischen ist.

Die humanitäre Aktion ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass Italien massive Flüchtlingsströme Richtung Europa befürchtet. Auf der kleinen italienischen Insel Lampedusa kommen wieder verstärkt Boote mit Flüchtlingen aus Tunesien an. Innerhalb von 48 Stunden landeten auf Lampedusa zehn Boote mit insgesamt über 700 Tunesiern an Bord. Im Auffanglager befinden sich zurzeit rund tausend Personen.

"Auf weitere 10.000 Flüchtlinge sind wir nicht vorbereitet"

Währenddessen spitzt sich an der libysch-tunesischen Grenze die Lage immer mehr zu. Eine Handvoll tunesischer Polizisten und Soldaten steht am Grenzübergang Ras Jedir und versucht, den Übertritt tausender Flüchtlingen aus Libyen zu regeln. Gastarbeiter aus Ägypten, Bangladesch, viele Schwarzafrikaner, erschöpft und schockiert von der Gewalt der vergangenen Tage, sehen nur noch den rettenden Grenzübergang, mobilisieren ihre letzten Kräfte, drängeln nach vorne. Es herrscht dichtes Gedränge an der blauen Schranke, die beide Staaten voneinander trennt, die Beamten lassen die Flüchtlinge aber nur tröpfchenweise passieren. Zehntausende Flüchtlinge alleine an diesem Grenzübergang - es herrscht Chaos, und ohne schnelle Hilfe droht eine humanitäre Katastrophe.

Per Megaphon ruft etwa Mohammed Aslam, Gastarbeiter aus Bangladesch, seine Landsleute am Grenzübergang zur Ruhe und Geduld auf. Sie hätten für eine Baufirma in Tripolis gearbeitet, berichtet er. Mit Beginn der Gewalt seien er und seine Kollegen aber mit einem Male auf sich alleine gestellt gewesen. "Wir wollen zurück nach Bangladesch, aber wir haben von unserer Regierung noch nichts gehört", sagt Aslam.

Eine Gruppe Ägypter, die es auf die tunesische Seite geschafft hat, empört sich ebenfalls über die Regierung ihres Landes: "Wo ist die ägyptische Botschaft?", rufen sie. "Die Tunesier tun alles, was sie können", sagt Tamer Mohammed, einer von ihnen. "Wir bekommen zu essen und zu trinken, aber wir können uns nicht waschen. Ich habe seit einer Woche nicht geduscht."

In den vergangenen zwei Wochen sind nach örtlichen Behördenangaben mehr als 80.000 Menschen in Ras Jedir angekommen. Mehr als 20.000 Menschen warten demnach noch auf der libyschen Seite der Grenze. "Wenn die Zahl zunimmt, dann bekommen wir es mit einer humanitären Katastrophe zu tun", sagt Moez Dachroaui, der örtliche Feuerwehrchef. Laut dem UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) flohen seit Beginn der blutigen Gewalt von Muammar al-Gaddafis Sicherheitskräften gegen Regierungsgegner und Aufständische mehr als 150.000 Menschen aus Libyen.

Internationale Hilfe läuft an

Die Sorge um die Flüchtlinge wächst - und die internationale Staatengemeinschaft kämpft bei ihren Hilfsbemühungen gegen die Zeit. Das UNHCR hat die Staaten der Welt zur Entsendung Hunderter Flugzeuge zur Rettung von Flüchtlingen an der tunesischen Grenze aufgerufen, das UNO-Ernährungsprogramm (WFP) hat Soforthilfen für die insgesamt rund 2,7 Millionen von der Krise betroffenen Menschen angekündigt und schickt Schiffsladungen mit Nahrung. Frankreich und Großbritannien wollen tausende ägyptische Flüchtlinge mit Schiffen und Flugzeugen in ihre Heimat bringen, mehrere Staaten haben Hilfsmissionen in das Grenzgebiet geschickt.

In Choucha, sieben Kilometer vom Grenzposten Ras Jedir entfernt, stehen bereits Hunderte weiße Zelte der Vereinten Nationen. Doch die Menschen wollen weg, so schnell wie möglich. Hunderte warten am Straßenrand auf Busse, die sie zum Flughafen von Djerba oder zum Hafen von Zarzis bringen sollen.

Ein Vertreter des ägyptischen Außenministeriums versichert, sein Land tue alles Menschenmögliche. In den vergangenen drei Tagen seien etwa 20.000 Ägyptern in ihre Heimat gebracht worden. Der tunesische Rettungsarzt Samir Abdelmoumen, der in dem Lager im Einsatz ist, hält Ägypten dagegen vor, zu wenig für seine gestrandeten Bürger zu unternehmen. "Vor allem Tunesien stellt Schiffe und Flugzeuge", sagt er. "Ich habe den Eindruck, Ägypten will diese Leute nicht." Noch sei die Lage einigermaßen unter Kontrolle, sagt Abdelmoumen. "Aber wir sind nicht auf 10.000 oder 15.000 weitere Flüchtlinge vorbereitet."

WHO warnt vor Epidemien: "Reales Risiko"

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte vor Epidemien in den tunesischen Lagern. Es gebe noch keine humanitäre Krise, aber ein "reales" Risiko von Epidemien, sagte der ranghohe WHO-Vertreter Eric Laroche. In den Lagern herrschten eine große Beengtheit und mangelnde Hygiene, berichtete Laroche nach einer Fahrt in den Süden Tunesiens. Es sei daher dringend, die Flüchtlinge per Flugzeug und Schiff in ihre Heimat zu bringen und ein Überwachungs- sowie Frühwarnsystem für ansteckende Krankheiten einzurichten. Die WHO benötige rund zwei zwei Millionen Euro an Soforthilfe für ihre Arbeit in Tunesien, schätzte Laroche.

Spanien holt Ägypter raus

Spanien wird am Donnerstagmittag ein Militärflugzeug an die Grenze zwischen Libyen und Tunesien schicken, um rund 4000 aus Libyen geflohene Ägypter in ihre Heimat zurück zu bringen. Das bestätige am Donnerstag Spaniens Außenministerin Trinidad Jimenez. Am Mittwoch erst hatte Spaniens Ministerpräsident Jose Luis Rodriguez Zapatero bei einem Besuch in Tunesien dem Interimspräsidenten Fouad Mebazaa und dem neu ernannten Ministerpräsidenten Beji Caid Essebsi die spanische Hilfe zugesagt.

(Ag.)

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