China: In Peking wird Salz knapp

(c) REUTERS (STRINGER SHANGHAI)
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Statt wie geplant die Atomkraft auszubauen, hat die Regierung ad hoc beschlossen, bis auf Weiteres keine Lizenzen für neue Meiler zu erteilen. Die Sicherheit der eigenen Reaktoren ist nicht länger ein Tabuthema.

Peking. In vielen Pekinger Lebensmittelgeschäften wurde am Donnerstag bereits das Salz knapp: Denn aus Angst vor einer radioaktiven Wolke aus dem 2400 Kilometer entfernten japanischen Katastrophen-Atomkraftwerk Fukushima begannen die Hauptstadtbewohner Salzvorräte anzulegen.

„Alle sagen, dass es gut für die Gesundheit sei, deshalb habe ich vorsichtshalber gleich drei Kilogramm geholt, mit Jod, obwohl das teurer ist“, begründete die Angestellte Zhu ihren Hamsterkauf.

Über Radio und Internet versuchten die Behörden, die Bevölkerung zu beruhigen. China sei sicher, und Salz helfe ohnehin nicht, sich vor einer radioaktiven Verseuchung zu schützen, hieß es. Diese „Weisheit“ war vorgestern von unbekannter Quelle per SMS und im Internet verbreitet worden. Der Drang zum Salz zeigt allerdings, dass auch die Chinesen die Angst vor den Folgen einer Nuklearkatastrophe packt. Seit fast einer Woche können sie rund um die Uhr im Fernsehen beobachten, wie sich die Situation in Japan zuspitzt.

In die Sorge um die Auswirkungen des japanischen Atomunfalls mischen sich inzwischen immer lauter auch Forderungen nach mehr Informationen über die Sicherheit der eigenen Atomanlagen in China – ein Thema, das bislang in der Öffentlichkeit tabu war.

Pekings Regierung scheint diese Sorgen allmählich ernst zu nehmen. Noch vor Tagen hatte der Nationale Volkskongress den Bau von Dutzenden neuen Reaktoren und eine Erhöhung der Atomenergie-Kapazitäten von zehn auf 80 Gigawatt innerhalb von nur zehn Jahren abgesegnet. Am Mittwoch beschloss der Staatsrat jedoch in einer Sondersitzung, bis auf Weiteres keine Lizenzen für den Bau neuer Kernkraftwerke zu erteilen. Gleichzeitig ordnete er an, die Sicherheitsstandards für alle bereits arbeitenden und genehmigten Anlagen zu überprüfen.

Bisher keine erhöhten Werte

Die nationale Atom-Sicherheitsagentur wurde angewiesen, die Umwelt verstärkt auf radioaktive Substanzen zu überprüfen und im Fall von Problemen schnell Alarm zu schlagen. Seit dem 12.März, ein Tag nach dem Erdbeben der Stärke 9,0 in Japan, veröffentlicht das Umweltministerium in Peking täglich die Ergebnisse von Luftmessungen auf seiner Webseite. Bisher wurden offenbar keine erhöhten Werte gemessen.

Während sich Chinas Experten in der Öffentlichkeit über die Sicherheitsstandards ihrer AKW bislang bedeckt hielten und vor allem über Unfälle in ausländischen Anlagen sprachen, wagen sich nun einige vor: Die Katastrophe in Japan und der Super-GAU in Tschernobyl 1986 lehrten, „dass wir unsere Sicherheit verstärken müssen und nicht nur daran denken sollten, die Atomenergie schnell weiterzuentwickeln“, erklärte Zhao Yamin, Atomsicherheitsexperte und Berater des Umweltministeriums vor Journalisten.

Es sei nicht nur nötig, die beste Technik zu besitzen, sondern es brauche auch genug qualifizierte Techniker. „Daran fehlt es noch“, meint Zhao. Menschliches Versagen sei eine der häufigsten Quellen von Unfällen, in China wie anderswo: Nur sehr gut qualifiziertes Personal sei fähig, bei Problemen nicht in Panik zu verfallen und falsche Reaktionen zu vermeiden. Man dürfe zudem nicht zulassen, dass bei Atomunfällen Bürokraten statt Experten entscheiden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2011)

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