Ägypten: Sieg für Mubarak-Lager und Islamisten

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Verfassungsreferendum beschnitt Macht des Präsidenten. Säkulare Gruppierungen wollten weitergehende Änderungen und keine überstürzten Wahlen. Überschattet wurde der Wahltag durch einen unschönen Zwischenfall.

Kairo. Es war eine richtige demokratische Premiere, als die Ägypter am Sonntag nur fünf Wochen nach dem Sturz von Diktator Hosni Mubarak über eine geänderte Verfassung abstimmten: Ein Urnengang war angesetzt, und das Ergebnis stand nicht schon zuvor fest. Am Ende befürwortete eine klare Mehrheit von 77,2 Prozent die Änderungen. Das unterlegene „Nein“-Lager dagegen wollte deutlich tiefere Einschnitte in das alte Mubarak-Grundgesetz.

Zentraler Streitpunkt im Vorfeld war die Länge der Übergangsperiode. Eine Koalition aus säkularen Parteien, Facebook-Aktivisten, Menschenrechtlern und Kopten wollte mit einem „Nein“ verhindern, dass Neuwahlen für Parlament und Präsident in den nächsten Monaten und damit aus ihrer Sicht überstürzt erfolgen. Die in der Mubarak-Zeit schikanierten Parteien würden mehr Zeit brauchen, sich zu organisieren. Dagegen plädierte ein ungewöhnliches Bündnis aus Muslimbrüdern, Islamisten und alten Mubarak-Getreuen für eine Zustimmung. Sie sind bereits gut organisiert und hoffen, von schnellen Wahlen zu profitieren.

„Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass meine Stimme zählt“, sagte die Studentin Aida Mohammed. „Ich bin jetzt 49 Jahre und bisher noch nie in meinem Leben zur Wahl gegangen“, schmunzelte ein Bankangestellter, als er aus dem Wahllokal in Dokki kam. Wie eine Trophäe zeigte er seinen mit purpurroter Tinte markierten Daumen, das Zeichen, dass er abgestimmt hatte. Nicht nur für ihn, für die meisten Ägypter war das Verfassungsreferendum die erste wirkliche demokratische Erfahrung ihres Lebens.

40 Prozent Beteiligung als Erfolg

Mehr als 40 Prozent gaben nach offiziellen Angaben ihre Stimme ab – ein stolzes Ergebnis nach Jahrzehnten politischer Apathie und Wahlbeteiligungen zwischen drei und zehn Prozent. Viele hatten sich zwei oder gar drei Stunden anstellen müssen.

45 Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, über elf Verfassungsänderungen zu entscheiden, die ein Expertenrat als eine Art demokratische Notoperation erarbeitet hatte. Die wichtigsten Punkte: Die Amtsperiode des Präsidenten wurde von sechs auf vier Jahre verkürzt, nach zwei Amtszeiten muss er einem Nachfolger Platz machen; innerhalb von 60 Tagen muss der Gewählte einen Vizepräsidenten ernennen; die Justiz führt wieder uneingeschränkt Aufsicht über alle Wahlen; jeder Ausnahmezustand muss vom Parlament beschlossen werden und darf höchstens sechs Monate dauern. Eine Verlängerung kann nur das Volk per Referendum autorisieren; der neue Artikel 189 legt fest, dass sechs Monate nach der nächsten Parlamentswahl eine gänzlich neue Verfassung erarbeitet und dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden soll.

Überschattet wurde der Wahltag durch einen unschönen Zwischenfall: Einige Dutzend Männer bewarfen Mohamed ElBaradei, eine Hoffnungsfigur der Anti-Mubarak-Bewegung, vor einem Wahllokal mit Steinen. „Wir wollen dich nicht, du Verräter!“, skandierten die Schläger. ElBaradei musste in seinem Wagen Deckung suchen und raste mit zertrümmerter Heckscheibe davon.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2011)

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