Lampedusa zittert vor Gaddafis Raketen

(c) AP (Giuseppe Giglia)
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Seit Rom sich am Einsatz gegen Libyen beteiligt, lebt Lampedusa in Angst. Die kleine Insel fürchtet, ins Visier des Diktators zu geraten. In Rom vermeiden Politiker indes das Wort „Krieg“.

Rom. Es war ein milder Nachmittag im April, als die Bewohner von Lampedusa ungewöhnliche Geräusche hörten. „Ein Donnergrollen, zweimal kurz hintereinander“, erinnert sich Giacomo Sanguedolce. „Mir war schnell klar, dass das kein Donner gewesen sein konnte.“ Der Blick des alten Mannes verliert sich in seinen Erinnerungen. Dann erzählt er weiter, fast 25 Jahre nach jenem 15.April 1986, als die Menschen in Panik auf die Straße liefen. Kurz zuvor waren zwei enorme Druckwellen über die Insel gefegt. Manche suchten Zuflucht in Bunkern aus dem Zweiten Weltkrieg.

Die kleine sizilianische Insel Lampedusa war ins Visier von Muammar Gaddafi geraten. Zwei Scud-Raketen liess Gaddafi am 15. April 1986 auf die Nato-Basis auf Lampedusa abfeuern. Wenige Stunden zuvor hatten die USA Tripolis und Bengasi bombardieren lassen, als Vergeltung für den Anschlag auf die Berliner Diskothek „La Belle“, hinter dem Washington den Diktator vermutete.

25 Jahre später geht wieder die Angst um auf Lampedusa, Europas südlichstem Vorposten im Mittelmeer. Es ist eine doppelte Bedrohung, die die meisten Bewohner empfinden: Die Angst, dass die Insel wieder zum Tor nach Europa wird für alle, die in Afrika keine Zukunft mehr sehen. Und dass Gaddafi noch einmal die Insel ins Visier nehmen könnte. Schließlich hat der Diktator gedroht, das „Mittelmeer in ein Schlachtfeld“ zu verwandeln. Italien – bis vor Kurzem enger Verbündeter des Diktators – ist an der Militäraktion beteiligt.

Beide Ängste sind real geworden. Lampedusa bewältigt den Ansturm von immer mehr Bootsflüchtlingen kaum noch. Das örtliche Auffanglager ist überfüllt, überall nächtigen illegale Einwanderer, in Hauseingängen, leer stehenden Häusern oder im Freien. Innenminister Roberto Maroni beschwört seit Wochen die Gefahr eines drohenden „biblischen Exodus“ aus Nordafrika. Was aber, so fragen sich viele auf Lampedusa, wenn eine Massenflucht von Libyern vor ihrem Diktator einsetzt?

In Rom vermeiden Politiker indes das Wort „Krieg“. „Wir beteiligen uns an der Umsetzung einer UNO-Resolution“, sagt etwa Staatspräsident Giorgio Napolitano. Doch die Stimmung droht zu kippen: Am Wochenende sind erste Demonstrationen geplant.

Berlusconi bedauert Gaddafi

Premier Silvio Berlusconi übt sich derweil in der Kunst des Spagats. Er muss nicht nur den Groll des Koalitionspartners Lega Nord besänftigen, der klar gegen diesen „Akt von Neokolonialismus“ ist, sondern vor allem die Ängste in der Bevölkerung zerstreuen: Eine akute militärische Gefahr für Italien bestehe nicht. Ihm gehe das Schicksal seines Ex-Verbündeten und Freundes sehr nahe: „Ich empfinde Schmerz wegen Gaddafi.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2011)

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