Kövér: "Sozialisten stellen Gefahr für Demokratie dar"

Ungarn:
Ungarn: "Sozialisten stellen Gefahr für Demokratie dar"(c) EPA (Laszlo Beliczay)
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Ungarns Parlamentspräsident Kövér wirft der linken Opposition vor, Hass zu säen. Die Kritik von Europas Grünen und Sozialisten am Mediengesetz bezeichnet er als hemmungslos, intolerant und hysterisch.

Die Presse: Im Februar ist Gábor Vona, der Chef der rechtsradikalen Jobbik, in der Weste der verbotenen Ungarischen Garde im Parlament erschienen. Er hat nach eigenen Worten damit gerechnet, dass Sie als Parlamentspräsident ihn zurechtweisen würden. Warum haben Sie das nicht getan?

László Kövér: Weil er damit gerechnet hat. Er wollte ja provozieren, nicht nur mich selbst, sondern das gesamte Parlament. Juristisch gesehen hatte ich keine Mitteln in den Händen.

Aber Sie hätten sich äußern können?

Ich habe das mit Absicht nicht getan. Es war nicht ich derjenige, der Herrn Vona geholfen hat, grenzüberschreitend mit dieser Angelegenheit in die Presse zu kommen.

Halten Sie die rechtsradikale Jobbik grundsätzlich für eine Gefahr in Ungarn?

Theoretisch ja, aber grundsätzlich nicht.

Das verstehe ich jetzt nicht.

Theoretisch bedeuten alle Kräfte eine Gefahr für die Demokratie, welche die Grenzen der Verfassung überschreiten und versuchen, ihre Politik auf der Frustration und dem Hass von Bürgern aufzubauen. In diesem Sinne stellt auch die MSZP, also die sozialistische Partei, eine permanente Gefahr für die Demokratie dar.

Warum?

Das ist die Nachfolgepartei der kommunistischen Partei. Sie hat seit 1990 versucht, Hass, Neid und Frust in der Gesellschaft für ihre Machtzwecke auszunutzen. Aber in der Praxis halte ich keine dieser beiden Parteien für gefährlich, gerade 2011. Es ist nicht im Interesse der MSZP, den demokratischen Rahmen aufzuheben. Und das möchte ich auch Jobbik nicht vorwerfen. Jobbik hätte auch gar nicht die Kraft, diesen Rahmen zu zerschlagen

Ich finde es irritierend, wie offen der Antisemitismus in Ungarn zutage tritt, geschürt gerade auch durch Jobbik. Grenzt sich Ihre Partei Fidesz klar genug ab von solchen Vorurteilen?

Eine Abgrenzung in den Punkten, wo wir unterschiedlich sind, halte ich nicht für notwendig. Ich möchte Sie auch daran erinnern, dass wir in Ungarn seit der ersten Fidesz-Regierung (1998-2002) einen Holocaust-Gedenktag haben.

Das Parlament soll noch vor Ostern eine neue Verfassung beschließen. Welche Punkte sind für Sie am wichtigsten?

Im Vergleich zur früheren Verfassung werden die Grundrechte stärker hervorgehoben, und zwar auf Basis der EU-Charta. Betonen möchte ich auch, dass in der Verfassung Grenzen für Verschuldung eingezogen werden. Und in der Präambel haben wir jene Werte zusammengefasst, die als Grundlage für die ungarischen Bürger betrachtet werden kann. Die derzeitige Verfassung ist eine mehrfach geänderte Version jener stalinistischen Verfassung, die noch aus 1949 datiert und nie eine legitime Grundlage hatte, also nie von einem legitimen Parlament verabschiedet wurde. Die Verfassungsänderung 1989 wurde ja auch von einem kommunistischen Parlament beschlossen.

Hängt damit auch zusammen, dass in der künftigen Verfassung nicht von der Republik Ungarn gesprochen wird, sondern nur von Ungarn?

Im Verfassungstext steht, dass die Staatsform Ungarns eine Republik ist. Aber der Name unseres Staates lautet seit mehr als 1000 Jahren Ungarn. Es gibt wenige Länder in Europa, die mit sich selbst seit tausend Jahren identisch sind.

Es gab auch die Idee, dass Mütter ein mehrfaches Wahlrecht zugestanden bekommen.

Diese Idee stammt ursprünglich von deutschen Abgeordneten der CDU/CSU. Sie gefiel mir in ihrer moderaten Version. Aber wir werden diese Passage aus der Verfassung herausnehmen. Die Bürger haben das in einem Fragebogen abgelehnt.

In der neuen Verfassung soll eine „Schuldenbremse" fixiert werden. Wie wollen Sie denn den derzeitigen Schuldenberg abtragen?

Zwischen 1998 und 2002 konnten wir die Verschuldungsrate mindern, indem wir die ungarische Wirtschaft auf Wachstumskurs brachten. Und es gibt auch heute keine bessere Lösung. Wir müssen dafür die Steuern und gleichzeitig auch die Staatsausgaben senken, durch Abbau der Korruption und der Bürokratie.

Werden Sie auch das Pensionsalter entscheidend hinaufsetzen in den kommenden Jahren?

Das beabsichtigen wir nicht. Für eine langfristige Reform des Rentensystems wurden die Konsultationen noch nicht angefangen. In einem ersten Schritt haben wir das Rentensystem durch die Rückverstaatlichung der dritten Säule, der obligatorischen Privatrentenkassen vor einem Zusammenbruch gerettet. Wir wollen in das neue Grundgesetz aufnehmen, dass wir in Ungarn ein einheitliches staatliches Rentensystem zum Ziel haben und der Staat dabei natürlich auch Möglichkeiten für Selbstvorsorge schafft.


Aber wird ein solches System nicht die Kosten für den Staat erhöhen?

Langfristig müsste ganz Europa einsehen, dass die Lösung des Problems nicht die ständige Erhöhung des Rentenalters ist, sondern in einer anderen demografischen Entwicklung zu suchen wäre.

Das Problem ist nur, dass man die Geburtenrate erwiesenermaßen nicht staatlich steuern kann.

Wenn ich richtig informiert bin, ist es in Frankreich gelungen, durch nachhaltige Familienförderung, die Geburtenrate zu steigern.


In Österreich und Deutschland funktionierte das nicht.

Vielleicht stimmt die Politik nicht. Ich kann nur unsere Politik beurteilen. In Ungarn zahlt eine Familie mit drei Kindern zum Beispiel keine Einkommenssteuer.


Haben Sie ein Ziel in der Geburtenrate?

Derzeit haben zwei Erwachsene Ungarns durchschnittlich 1,3 Kinder. Wir wollen die „Reproduktionsrate" von 2,1 erreichen. Wenn nicht mehr Kinder geboren werden, wird die Bevölkerung Ungarns bis 2050 von zehn Millionen auf 8,5 Millionen sinken, und die Hälfte wird älter als 50 Jahre sein.

Eine Mehrheit im EU-Parlament, auch die OSZE fordern weitere Änderungen am ungarischen Mediengesetz. Beanstandet werden vor allem die Befugnisse der neuen Medienbehörde. s-10;0Sind für Sie weitere Änderungen vorstellbar?

Ja, natürlich. Wenn es sich in der praktischen Arbeit herausstellt, dass das jetzt geltende Mediengesetz die Ausübung der Pressefreiheit beeinträchtigen kann, werden wir zweifelsohne das Gesetz nochmals abändern. Wenn ich jetzt die oppositionelle Presse lese, sehe ich keine Notwendigkeit dazu.


Hat diese Diskussion nicht Ungarn sehr geschadet? Hätte man sich das nicht besser vor Verabschiedung des Mediengesetzes überlegen sollen?

Das Gesetz war sehr gut vorbereitet. Die politische Hysterie war nicht zu erwarten. Es hat ja schließlich auch die EU-Kommission keine wesentlichen Änderungen am Mediengesetz verlangt.

Sie sprachen von Hysterie. Fühlt sich Ihre Regierung missverstanden in Europa?

Nein. Die politischen Kräfte, die uns im EU-Parlament angreifen für dieses Gesetz, verstehen unsere Lage ganz gut. Sie befürchten, dass in Ungarn jetzt eine erfolgreiche konservative Periode beginnt und ihre Genossen, die sich aus den postkommunistischen Zeiten hinübergerettet haben, verdrängt werden, wie das beispielsweise auch in Polen der Fall war. Ich bin eine Zeitlang davon ausgegangen, dass die politischen Diskussionen ausgeglichener sein werden. Die Hoffnung haben wir aufgegeben. Wir sehen auch jetzt schon in der europäischen Politik den Trend zu Hemmungslosigkeit und Intoleranz, an der wir gelitten haben. Für die Bekämpfung unserer Minderwertigkeitskomplexe war die Aufregung rund um das Mediengesetz jedenfalls ganz gut.

Wen betrachten Sie als hemmungslos und intolerant in Europa?

Die Grünen, die Sozialisten, die Kommunisten in Europa. Der Ton, in dem wir vom EU-Parlament angegriffen wurden, war nicht berechtigt.

Sie haben Polen als Vergleich genommen. In Polen gab es auch eine scharfe Auseinandersetzung zwischen links und rechts. Mittlerweile hat sich der Ton gemäßigt. In Ungarn tobt noch immer ein „kalter politischer Krieg". Haben Sie Überlegungen, diese Frontstellung zu überwinden?

Die Sache hat sich auch in Polen erst gelöst, nachdem die Wähler die die Postkommunisten ins Fach gesteckt hatten, wo sie hingehören.

Ihr Ziel ist es also, Ungarns Sozialisten so zu schwächen, dass sie keinen keinen Faktor mehr darstellen.

Das können nur die Wähler tun. Ich betrachte Ungarns Sozialisten übrigens als Postkommunisten. Ich wäre gerne bereit, irgendeine sozialdemokratische Partei eines westlichen Staates gegen sie auszutauschen.

Sie glauben nicht, dass es eine Aussöhnung mit den jetzigen Sozialisten geben kann?

Wie wäre das jetzt möglich, wenn es 20 Jahre lang nicht gelungen ist. Sie greifen an, wo sie können, legen sich quer, wo sie können.

Das hat Ihre Partei natürlich auch gemacht als Opposition.

Mit dem bedeutenden Unterschied, dass die Sozialisten Ungarn zweimal kaputtgemacht haben, einmal vor 1990 und dann vor 2010. Sie haben Ungarn nicht nur wirtschaftlich pleite gemacht, sondern auch den Rechtsstaat fast zerstört und kein einziges Wort der Entschuldigung über die Lippen gebracht. Die Regierungszeit der ersten Orbán-Regierung war die beste Zeit Ungarns seit der Wende.


Zu einem anderen Thema: Überdenkt Ungarn angesichts des Unglücks in Fukushima seien Atompolitik?

Ungarn steht offen für alle gemeinsamen Überlegungen, wie die Kernenergie langfristig ersetzt und kurzfristig sicherer werden kann. Aber kurzfristig hat Ungarn leider keine Möglichkeit, auf Atomenergie zu verzichten.

Das AKW Paks löst in Österreich Sorgen aus, weil der Reaktor relativ alt ist. Denken Sie da an eine Verkürzung der Laufzeit, die ja unlängst verlängert wurde?

Die Rekonstruktion des Kernkraftwerkes steht auf der Tagesordnung. Es soll modernisiert werden.


Ihr Außenminister hat vor Kurzem gefordert, dass Gaddafi, der libysche Staatschef, weg müsse. Wird sich Ungarn an dem Militäreinsatz gegen Libyen beteiligen?

Nein. Wir unterstützen die Militäraktionen gegen Libyen, aber wir sehen keine Kapazitäten im ungarischen Militär, um uns am Einsatz in Libyen zu beteiligen.

Zur Person

László Kövér, geboren 1959 in Papá, gründete am 30.März 1998 gemeinsam mit dem heutigen ungarischen Premier Viktor Orbán die Fidesz-Partei. Seit 6.August 2010 ist der konservative Jurist und Politologe Parlamentspräsident. Von 1998 bis 2000 überwachte er in Orbáns erster Regierung als Minister ohne Portfolio die zivilen Geheimdienste.

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