„Der Einsatz in Libyen überschreitet das UN-Mandat“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Präsidentin von Litauen hofft auf eine politische Lösung mit Muammar al-Gaddafi. Es ist wichtig, Zivilisten auf beiden Seiten, jener der Rebellen aber auch der Gaddafi-Anhänger, zu schützen.

Die Presse: Nach dem Super-GAU im Kernkraftwerk von Fukushima – wie sehen Sie die Zukunft der Atomkraft?

Dalia Grybauskaité: Ich bin sehr besorgt; möglicherweise ist der Unfall in Fukushima noch viel schlimmer, als die Katastrophe von Tschernobyl war. Die Einstellung zur Atomkraft wird sich global ändern. Über den österreichischen Vorschlag zu höheren Sicherheitsstandards für AKW und Stresstests aller europäischen Anlagen bin ich erfreut und unterstütze diesen voll.

Glauben Sie, dass eine Zukunft ohne Atomenergie möglich wäre?

Auf lange Sicht gesehen, ja. In Litauen planen wir bis 2020 einen Anstieg der Alternativenergien auf 20 bis 25Prozent. Die Diskussionen über Atomkraft werden aber sehr schmerzhaft und heikel sein.

In der unmittelbaren Umgebung Ihrer Landesgrenzen sollen zwei neue AKW– eines in Weißrussland, eines in Kaliningrad – gebaut werden...

...das Projekt in Astrawets wird unsere Beziehungen zu Weißrussland für längere Zeit gefährden, weil es eine politisch, wirtschaftlich und umwelttechnisch heikle Angelegenheit ist. Das AKW würde nur 50 Kilometer von der Hauptstadt Vilnius entfernt liegen – und wir haben keine genauen Informationen darüber, obwohl wir längst mehr Transparenz und eine Umweltverträglichkeitsprüfung eingefordert haben. An jenem Tag, an dem der Vertrag mit den russischen Investoren unterzeichnet wurde, passierte die Katastrophe in Fukushima – das ist doch sehr symbolisch!

Weißrussland wird ja oft als letzte Diktatur Europas bezeichnet.

Wer sagt das? In Europa gibt es mehrere Länder, wo vielleicht nicht unbedingt Diktaturen, aber doch sehr autoritäre Regime an der Macht sind; wie beispielsweise in Russland, der Ukraine, Kasachstan oder Usbekistan.

Dennoch: Wie sollte die EU mit dem autoritären Machthaber Alexander Lukaschenko umgehen?

Lukaschenko ist seit 16 Jahren an der Macht. Nach jeder Wahl war die EU unzufrieden mit dem Ergebnis und verhängte Sanktionen gegen das Land. Dies führte in 15 Jahren aber nie zum gewünschten Erfolg; der Öffnung und Demokratisierung des Landes. Im Gegenteil: Mit den Sanktionen wurde Lukaschenko nur geholfen, an der Macht zu bleiben, sich Russland anzunähern und die Gesellschaft zu isolieren. Die EU sollte endlich verstehen, welche Konsequenzen die Sanktionen haben.

Welchen Weg schlagen Sie vor?

Die weißrussische Bevölkerung muss das freie und demokratische Europa kennenlernen, daher sollten wir unsere Grenzen für diese Menschen öffnen. Nur wer Vergleiche mit anderen Staatsformen ziehen kann, kann entscheiden, welches Regierungssystem er bevorzugt. Für viele europäische Staaten ist es aber angenehm, einfach zu sagen: Ich bin für eine Demokratie in Weißrussland, um den Rest kümmere ich mich nicht.

Wie würden Sie Ihre Beziehungen zu Russland zur Zeit beschreiben?

Als relativ gut. Es gibt zwar immer noch historisch bedingte Empfindlichkeiten und Politiker auf beiden Seiten, denen nichts an einer Verbesserung der Beziehungen liegt. Ich habe da eine pragmatische Herangehensweise: Wir sind quasi Nachbarn, und die kann man sich nicht aussuchen. Wenn Russland seine jüngere Geschichte neu bewertete, würde das unsere Beziehungen sicher verbessern.

In Libyen findet ein Nato-Einsatz zum Schutz der Zivilbevölkerung vor der Gewalt des Gaddafi-Regimes statt. Wie beteiligt sich Litauen daran?

Als Nato-Mitglied hat Litauen auch das Inkrafttreten der UN-Resolution unterstützt. Es ist wichtig, Zivilisten auf beiden Seiten – jener der Rebellen, aber auch der Gaddafi-Anhänger – zu schützen. Litauen hat nicht die Kapazitäten, sich an einem militärischen Einsatz zu beteiligen, wir werden aber humanitäre Hilfe leisten.

Was sagen Sie zur Art der Durchführung der Mission?

Die militärischen Einsätze haben das UN-Mandat eindeutig überschritten. Es sollte ja lediglich um die Flugverbotszone und den Schutz der Bevölkerung gehen.

Glauben Sie, dass man mit einem Diktator wie Gaddafi eine Lösung auf politischer Ebene finden kann?

Wir sollten immer eine politische Lösung anstreben, egal, um welches Regime es sich handelt. Im Süden Afrikas gibt es auch fast überall gewalttätige Diktatoren, aber keine militärischen Interventionen. Warum also in Libyen?

Auf einen Blick

Dalia Grybauskaité wurde im Mai 2009 zur ersten Staatspräsidentin Litauens gewählt. Zuvor war sie litauische Finanzministerin und später Kommissarin für Finanzplanung und Haushalt in der EU. Die 55-Jährige studierte politische Ökonomie in Sankt Petersburg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2011)

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