USA: Wie die "Operation Geronimo" ablief

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Neun Monate dauerte die Vorlaufzeit für die Kommandoaktion, für die ein Spezialteam der Navy Seals alle Eventualitäten durchspielte. Mittels umstrittener Verhörmethoden kam die CIA auf die Spur des Terrorpaten.

Washington. Professionelle Präsidentenbeobachter hätten Verdacht schöpfen können, als Barack Obama am Sonntagvormittag seine Golfrunde am Luftwaffenstützpunkt Andrews bereits nach neun Löchern abbrach. Womöglich waren die Abgesandten des Korrespondentenkorps, die den Präsidenten außerhalb des Weißen Hauses auf Schritt und Tritt begleiten, noch nicht ausgeschlafen nach den Partys im Anschluss an das White House Correspondent's Dinner, dem gesellschaftlichen Höhepunkt Washingtons. Sonst wären ihnen vielleicht aufgefallen, dass Obama, statt sich umzuziehen, in seinen weißen Golfschuhen in den Amtssitz zurückkehrte.

Im abhörsicheren Situation Room im Keller des Weißen Hauses versammelte sich sein Sicherheitsteam zu einer Konferenzschaltung. Gebannt verfolgte Obama an der Seite von Vizepräsident Joe Biden, Außenministerin Hillary Clinton, Verteidigungsminister Robert Gates sowie einem halben Dutzend hochkarätiger Sicherheitsexperten, was sich zeitgleich im Dunkel der Nacht in einem Gebäudekomplex im pakistanischen Abbottabad abspielte.

Fünf Jahre in der Villa versteckt

Gespenstisches Schweigen erfüllte nach Aussage von Sitzungsteilnehmern den Raum, während die „Operation Geronimo“ mit der Landung der Hubschrauber und den Feuergefechten ihren Lauf nahm. Das CIA hatte die geheime Kommandoaktion, die zur Ergreifung des Terrorpaten Osama bin Laden führen sollte, nach dem legendären Apachen-Häuptling benannt. Fotos, die das Weiße Haus freigab, illustrieren die angespannte Konzentration in der Runde. Biden fingert nervös an seinem Rosenkranz, Clinton hält es kaum auf ihrem Sitz, Gates lehnt sich zurück. „Die Minuten verstrichen wie Tage“, erzählt John Brennan, der oberste Terrorexperte.

Aus dem Hauptquartier des Auslandsgeheimdienstes in Langley ist CIA-Chef Leon Panetta zugeschaltet. Im Minutentakt gibt er eine Beurteilung der Lage ab. „Sie haben das Ziel erreicht“, sagt er laut einem Gesprächsprotokoll der „New York Times“. Und später im Militärjargon: „Geronimo EKIA (Enemy killed in action) – Feind im Einsatz getötet.“ Erst der Präsident, der die Aktion mit steinerner Miene beobachtet hat, durchbricht die Stille: „Wir haben ihn.“ In Abbottabad hat eine von Osama bin Ladens Frauen den meistgesuchten Mann der Welt identifiziert. Ein Fotovergleich ergab eine 95-prozentige Wahrscheinlichkeit, ein an der Leiche Osama bin Ladens vorgenommener DNA-Test eine Sicherheit von 99,9Prozent.

Neun Monate dauerte die Vorlaufzeit für den Coup Barack Obamas. Im August 2010 haben CIA-Agenten in der pakistanischen Stadt Peschawar die Spur jenes Boten aufgenommen, der sie zu dem von hohen Mauern und Stacheldrahtverhau umgebenen Areal führte, in dem sich Osama bin Laden nach US-Erkenntnissen vier bis fünf Jahre verschanzt hielt. Nachdem ihnen der „Kopf der Schlange“, so Brennan, Ende 2001 im Höhlensystem entwischt war, hat sich bei den USA auf der Jagd nach bin Laden bereits Frust eingeschlichen. Doch die kriminalistische Kleinarbeit beim bin-Laden-Puzzle machte sich letztlich bezahlt.

Schon 2005 hatten die umstrittenen Verhörmethoden in den CIA-Sondergefängnissen, darunter das „Waterboarding“, die US-Fahnder auf den Tarnnamen des Boten gebracht. Dass Khalid Scheich Mohammed, der selbst ernannte Mastermind der 9/11-Anschläge, seinen Protegé hartnäckig verleugnete, bestärkte die US-Agenten eher in ihrem Verdacht. Bis sie jedoch durch Abhöraktionen die volle Identität des Boten enttarnten, vergingen noch mehrere Jahre. Osama bin Laden hatte ein ausgetüfteltes Botensystem entwickelt, aus Angst vor einem Aufspüren verzichtete er auf moderne Kommunikationsmittel. In seiner Villa, in der er mit dem Boten, dessen Bruder, neun Frauen und 23 Kindern lebte, fanden sich weder Telefon noch Internetanschluss – sehr wohl aber ein Computer und Disketten, von denen sich Terrorexperten in Washington Rückschlüsse über die Strukturen der al-Qaida erhoffen. Frauen und Kinder sind inzwischen in pakistanischem Gewahrsam.

Minutiöse Proben für Ernstfall

In der US-Hauptstadt mochten es die Regierungsbeamten kaum glauben, dass sich der „Staatsfeind Nummer eins“ inmitten einer pakistanischen Garnisonsstadt verbarg. Via Satellit observierte die CIA die Vorgänge in der Villa. Die Agenten in Abbottabad waren sorgsam darauf bedacht, die Terroristen nicht durch auffällige Aktionen in die Flucht zu schlagen.

Im Frühjahr wurde es schließlich mit der Planung an der „Operation Geronimo“ ernst. Minutiös probten die Navy Seals den Einsatz in nachgebauten Gebäuden. Verteidigungsminister Gates plädierte für eine Bombardierung durch B-52-Flugzeuge, Obama entschied sich für die riskantere Hubschrauberaktion. Freitagfrüh gab er sein Plazet, setzte aber das gesamte Wochenende über sein Pokerface auf – selbst als der Komiker Seth Meyers beim Korrespondentendinner über den Todfeind scherzte. Der halte sich längst nicht in einer Höhle auf, feixte er, sondern treibe als Talkshow-Moderator in den USA sein Unwesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2011)

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