Waren die Todesschüsse völkerrechtlich legitim?

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US-Aktion wirft Fragen auf: nach der Souveränität Pakistans, dem Töten im Krieg oder schlichter Notwehr. Von den USA wurde zuletzt immer wieder argumentiert, man befinde sich im Krieg al-Qaida.

Immer neue Details von der Aktion gegen Osama bin Laden dringen nun an die Öffentlichkeit. Doch diese Details taugen nur wenig als Puzzleteile beim Zusammensetzen des großen Bildes „Wie kam bin Laden zu Tode?“ Denn sie passen vielfach nicht zueinander, werfen mehr Fragen auf, als sie Antworten liefern. Eine Tochter des Terrorpaten berichtete nun, ihr Vater sei erst gefangen genommen und dann erschossen worden. In Washington beteuert man jedoch, bin Laden habe gegen seine Festnahme Widerstand geleistet und sei deshalb umgebracht worden. Zunächst hatte es noch geheißen, die US-Spezialkräfte seien mit einem Tötungsauftrag ausgesandt worden.

Was genau geschah, als die Navy Seals das Anwesen im pakistanischen Abbottabad stürmten, hat auch Auswirkungen auf die juristische Diskussion darüber, ob das Vorgehen legitim war.

„Es kommt darauf an, was die Amerikaner wollten“, meint dazu Professor Christian Tomuschat, Völkerrechtsexperte an der Humboldt-Universität in Berlin zur „Presse“. Soll heißen: Wollte man den al-Qaida-Chef töten oder festnehmen? „Dass man bin Laden verhaften wollte, klingt nicht unplausibel“, sagt Tomuschat. Immerhin hätten die Amerikaner Soldaten mit Hubschraubern abgesetzt und nicht einfach das Haus bin Ladens mit einer Bombe oder Rakete zerstört. Letzteres wäre klar unter „gezielte Tötung“ gefallen.

„Krieg gegen Terror ist kein Krieg“

Natürlich müssten aber bei einer Festnahme polizeirechtliche Regeln eingehalten werden. „Man kann eine Person nicht einfach erschießen.“ Bei Gegenwehr sind Sicherheitskräfte aber befugt, auch zu feuern. Hielten die Soldaten des Seal-Teams die Standards für eine Verhaftung ein oder wandten sie exzessive Gewalt an? „Das ist von außen schwer zu beurteilen“, meint Tomuschat. Dazu müsse man mehr Einzelheiten darüber wissen, wie die Aktion vor sich ging.

Von den USA wurde zuletzt immer wieder argumentiert, man befinde sich im Krieg gegen die Terrororganisation al-Qaida. Und im Krieg ist es rechtlich legitim, Feinde gezielt und ohne Vorwarnung zu töten. Folgt man dieser Argumentation waren Osama bin Laden und andere al-Qaida-Mitglieder feindliche Kämpfer, die als Teil einer Kriegshandlung gezielt attackiert und ausgeschaltet werden dürfen.

„Hier wird der Kriegsbegriff zu stark strapaziert“, meint Professor Tomuschat. Für ihn fällt das Vorgehen gegen das Terrornetzwerk klar unter Verbrechensbekämpfung und müsse daher den dafür geltenden Regeln folgen. „Der Kampf gegen al-Qaida hat nichts mit einem bewaffneten Konflikt zu tun.“ Der könne nur zwischen Staaten oder Gruppen mit klaren Strukturen auf bestimmtem Territorium stattfinden. „Es gibt aber in diesem Konflikt keine organisierte Kampftätigkeit.“

Auch Professor Irmgard Marboe von der Universität Wien denkt nicht, dass man beim Vorgehen gegen al-Qaida das Kriegsrecht anwenden kann. Schon der Begriff „Krieg gegen den Terror“ passe nicht, sagt sie zur „Presse“. Und die USA nehmen es offenbar selbst mit den Vorgaben des Kriegsrechtes nicht so genau.

„Kombattanten haben einen Vorteil und einen Nachteil“, meint Marboe. Der Nachteil: Sie sind legitime, angreifbare Ziele in einem bewaffneten Konflikt. Der Vorteil: Sie genießen den Status von Kriegsgefangenen, wenn sie in die Hand des Feindes fallen. Diesen Status ließen die USA gefangenen al-Qaida-Kämpfern aber nicht zuteil werden. Sie hielten sie als „illegale Kombattanten“ im Lager Guantánamo fest. „Den Status eines illegalen Kombattanten gibt es aber in den völkerrechtlichen Verträgen nicht“, so Marboe.

Entscheidend beim US-Einsatz gegen bin Laden ist auch für Marboe, ob dabei die menschenrechtlichen Standards einer Polizeiaktion eingehalten wurden. Das heißt: unter welchen Umständen der al-Qaida-Chef zu Tode kam.

Sowohl Marboe als auch Tomuschat meinen, dass Pakistans Souveränität durch die Mission des Seal-Kommandos verletzt worden sei – vorausgesetzt, Pakistan hatte dem Einsatz tatsächlich nicht zugestimmt. Dass Pakistans Premier danach den Erfolg der Aktion gelobt habe, könnte aber als eine Art nachträglicher Genehmigung gesehen werden, sagt Marboe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2011)

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