Abdel-Samad: "Araber brauchen keinen Mörder mehr"

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Bereits die arabischen Revolutionen schalteten Osama bin Laden aus, sagt der deutsch-ägyptische Autor Hamed Abdel-Samad. Und er widerspricht Thilo Sarrazin: Der Islam sei nicht auf dem Vormarsch.

Die Presse: Was bedeutet Osama bin Ladens Tod für die arabische Welt?

Hamed Abdel-Samad: Es waren nicht die US-Elitesoldaten, die bin Laden endgültig ausgeschaltet haben. Das haben die arabischen Revolutionen schon davor besorgt. Al-Qaida profitierte lange vom Wutpotenzial junger Menschen in der arabischen Welt. Und als Projektionsfläche für den Hass bot al-Qaida die USA an. Doch die jungen Menschen, die von Tunesien bis Jemen auf die Straße gehen, haben zum ersten Mal gegen die wahren Gründe ihrer Misere protestiert. Die arabische Bevölkerung braucht jetzt keinen Mörder mehr, der sie zum Aufstand aufstachelt.

Einer der Hotspots dieser Revolte ist Libyen. Deutschland beteiligt sich nicht an den Luftangriffen gegen das Gaddafi-Regime. Ist das Teil des deutschen Nachkriegspazifismus?

Nein, ich glaube nicht, dass das irgendetwas mit Pazifismus zu tun hat. Die deutsche Politik hat einfach versucht, das Spiel von Gerhard Schröder aus 2003 gegen den Irak-Krieg zu spielen, um bei der eigenen Bevölkerung zu punkten, da ja Landtagswahlen bevorstanden. Aber die Bevölkerung nahm das nicht als Akt des Pazifismus auf.

Die deutsche Regierung kritisierte, die Militäraktion sei nicht durchdacht.

Das ist doch kein Argument. Wenn ein Diktator mit Flugzeugen gegen die eigene Bevölkerung vorgeht und wenn diese dann um Hilfe bittet, kann man doch nicht lange überlegen. Nicht durchdacht war die deutsche Haltung und nicht der Militäreinsatz. Sie ist ja nicht wirklich eine Haltung, denn Enthaltung ist keine Haltung. Es ging um Menschenleben. Und es sind auch viele gerettet worden. Die Nato muss die Luftangriffe intensivieren und die Rebellen aufrüsten.

Ein Grund, warum man Libyens Rebellen nicht aufrüstet, sind Sorgen, sie könnten von Islamisten unterwandert sein. Dieser Verdacht trifft Revolutionäre in der gesamten arabischen Welt.

Das sind uralte Ängste, die auch die Diktatoren immer dem Westen verkauft haben. Natürlich gibt es Islamisten in Libyen, Ägypten und Tunesien. Aber die Mehrheit der Bevölkerung löst sich davon. Der Westen kann mit dem Schreckgespenst Islamisten nicht immer leben. Was wäre die Alternative? Dass Gaddafi wieder erstarkt?

Wir trafen einander zuletzt in Kairo während der Revolution. Wie sieht heute Ihr Resümee des Umsturzes aus?

Wie bei jeder Revolution gibt es danach eine Phase des politischen Chaos. Aber es gibt erste Schritte in die richtige Richtung. Wenn mir jemand vor Monaten erzählt hätte, dass bald Expräsident Mubarak, seine Familie und seine Gefolgsleute im Gefängnis landen, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Wir befinden uns in einem Umbruch, der in die eine oder andere Richtung führen kann. Derzeit läuft alles Richtung Demokratisierung. Ob das die Islamisten stärkt oder schwächt, werden die Wahlen im September zeigen. Der Übergangsprozess hängt nicht nur von den Wahlen ab, sondern von den politischen Institutionen, die jetzt entstehen.

Es gibt Kritik an Ägyptens neuer Übergangsverfassung: etwa daran, dass Artikel2 bestehen blieb. Er nennt die Scharia als Quelle der Rechtsprechung.

Ich teile diese Kritik. Ägypten braucht eine völlig neue, zivile Verfassung ohne Erwähnung der Religion. Artikel 2 selbst hat vor allem symbolischen Charakter: Denn die ägyptische Gesetzgebung ist eine Kopie des französischen Gesetzbuches. Im Strafrecht spielt die Scharia keine Rolle, nur bei Scheidung und Erbschaften. Problematisch ist die Geisteshaltung hinter Artikel 2. Wer eine Demokratie will, muss sich auch langfristig von der religiösen Konnotation trennen. Man muss begreifen, dass zivile Gesellschaft bedeutet, dass die Menschen die Gesetzgeber sind und nicht Gott.

Was bedeutet Religion für die jungen Tunesier und Ägypter, die gegen ihre Regime gekämpft haben?

Religion war nicht der Impulsgeber dieser Revolution. Im Gegenteil: Vertreter der staatlichen religiösen Institutionen in Ägypten und in Tunesien haben die Menschen daran gehindert, zu revoltieren. Im sunnitischen Islam war Herrschaftstreue immer wichtig. Die jetzigen Revolutionen fanden nicht wegen sondern trotz des Islam statt. Die Leute gingen nicht mit religiösen Argumenten auf die Straße, sondern mit den Forderungen Demokratie und Freiheit.

In Deutschland wurde Ihnen vorgeworfen, in Bezug auf Muslime und Islam zu pauschalisieren. Was unterscheidet Sie von Thilo Sarrazin, dem Autor des umstrittenen Buches „Deutschland schafft sich ab“?

Einige Probleme, die er thematisiert, müssen diskutiert werden. Aber die Geisteshaltung, dass von der anderen Seite nur Gefahr droht, ist genau die, die der islamischen Welt so lange geschadet hat. Beide Seiten ziehen sich in alte Identitätsmuster zurück: Muslime in ihre reine religiöse Welt. Einige Deutsche in ein Deutschlandbild, das es nicht mehr gibt: in dem alle blond sind und Goethe und Schiller lesen. Ich sehe nicht im anderen nur Gefahren. Deshalb bin ich Lichtjahre entfernt von Herrn Sarrazins Ansichten. Er sieht den Islam zudem auf dem Vormarsch und denkt, dass dieser Europa erobern wird. Ich gehe vom Gegenteil aus: Der Islam ist politisch am Ende und hat keine Antworten für das 21. Jahrhundert. Auch wenn der politische Islam durch Wut und Gewalt sichtbar ist. Dahinter stecken Schwäche und Konzeptlosigkeit. Wenn jemand meine Kritik am Islam als Ideologie, als Pauschalisierung sehen will: Gerne, das ist nicht mein Problem. Wir haben ernsthafte Probleme in der islamischen Welt, auch in den Migrationsgesellschaften in Europa. Das muss man diskutieren: Das habe ich auch mit jungen Menschen in Ägypten und Marokko getan. Aber in Europa wird es emotional wahrgenommen, als Angriff auf die islamische Identität.

Hängt diese Emotionalität damit zusammen, dass sich Muslime in Europa in einer Minderheitenposition fühlen?

Eine Minderheit ist gefordert, sich nicht in die Defensive drängen zu lassen. Sie muss eigene Projekte entwickeln und fähig sein zur Selbstkritik. Ich hätte es mir von den Muslimen in Europa erwartet, dass sie diese geistige Revolution wagen und nicht auf Ägypter und Tunesier warten. Wir Muslime in Europa haben den Luxus, dass wir in Freiheit leben und sagen können, was wir denken. Aber die Communitys haben sich immer darauf beschränkt, den Islam zu verteidigen. Um Geist und Denken zu erneuern, müssen wir eine gewisse Distanz und Skepsis gegenüber der eigenen Religion zulassen. Aber indem wir alles, was an Kritik kommt, als Angriff auf die islamische Identität und die Minderheit sehen, versperren wir uns den Weg zu einem Neuanfang.

Zur Person

Hamed Abdel-Samad ist derzeit Dauergast bei deutschen Fernseh-Talkshows wie „Menschen bei Meischberger“ und einer der Lieblingsautoren des deutschen Feuilletons. Mit seinem 2010 erschienenen Buch „Der Untergang der islamischen Welt“ sorgte er für Diskussionsstoff. Abdel-Samad wurde 1972 in Ägypten als Sohn eines sunnitischen Imams geboren. 1995 kam er nach Deutschland. Der Politikwissenschaftler und Autor hielt sich während der Revolution in seiner alten Heimat Ägypten auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2011)

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