Frankreich will deutschen Atomausstieg nicht hinnehmen

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Auf einem EU-Sondertreffen fordert die französische Regierung eine gemeinsame Debatte über die Konsequenzen der AKW-Stilllegung in der EU. Der deutsche Ausstieg hat auch Belgien vor den Kopf gestoßen.

Paris/Brüssel/Ag/Red. „Für die französische Regierung ist es sicher eine sehr schlechte Nachricht. Vor allem, weil die Atomindustrie für uns ein großer Handelstrumpf ist.“ Die Zeitung „Paris Normandie“ brachte die Vorbehalte in Paris gegen einen deutschen Atomausstieg auf den Punkt. Tatsächlich will die französische Regierung nun die deutsche Entscheidung nicht widerspruchslos hinnehmen. Energieminister Eric Besson forderte am Montag ein eigenes EU-Ministertreffen, bei dem die Konsequenzen des deutschen Atomausstiegs beraten werden sollen. Dabei solle es um die Auswirkungen des deutschen Alleingangs auf die einzelnen europäischen Länder gehen.

Besson hatte bereits in der vergangenen Woche Berlin heftig kritisiert. „Unsere Welt kann im 21.Jahrhundert nicht auf Atomkraft verzichten“, sagte er der Zeitung „Libération“. Er führt freilich nicht die Interessen der französischen Atomindustrie, sondern die Versorgungssicherheit seines Landes ins Treffen. Frankreich, der größte Atomstromproduzent Europas, habe bisher in Zeiten hoher Nachfrage auch Strom aus dem Nachbarland bezogen. Rund vier Fünftel des Stroms produziert Frankreich aktuell aus Atomkraft, in Deutschland sind es derzeit noch 22 Prozent. Die Zahlen des Stromleitungsnetzwerks belegen, dass Frankreich im vergangenen Jahr 16,1 Terawattstunden Strom aus Deutschland importiert hat. Im Gegenzug exportierte es 9,4 Terawattstunden.

Der deutsche Ausstieg, der am Montag bei einer Sondersitzung der Regierung mit der Vorlage eines entsprechenden Gesetzes vorangetrieben wurde, hat auch Belgien vor den Kopf gestoßen. Energieminister Paul Magnette kritisierte ihn als „Alleingang“ und forderte, dass die europäischen Nachbarn in die Entscheidung eingebunden werden müssten. Immerhin sei die Energieversorgung Deutschlands, Frankreichs, Belgiens und der Niederlande eng verknüpft, so Magnette.

Stärkung der Atomkraftgegner

Belgiens Energieminister will bereits ein EU-Ministertreffen am kommenden Freitag in Luxemburg dafür nutzen, seine Einwände vorzubringen. Freilich hat auch Belgien bereits beschlossen, 2015 mit dem Ausstieg aus der Kernenergie zu beginnen. In Deutschland sollen alle verbleibenden AKW zwischen 2015 und 2022 vom Netz genommen werden. Ein einziges Atomkraftwerk soll für eventuelle Energieengpässe betriebsbereit bleiben.

Frankreich sieht nicht nur wirtschaftliche Nachteile und fürchtet Versorgungsengpässe. Für Präsident Nicolas Sarkozy und seine Regierung kommt der deutsche Atomausstieg auch zu einem Zeitpunkt, da im eigenen Land der Widerstand gegen die Atomkraft wächst. Nach der Katastrophe im japanischen AKW Fukushima demonstrierten tausende Atomkraftgegner für einen Ausstieg. Die französischen Sozialisten, die in dieser Frage intern gespalten sind, forderten nach der deutschen Entscheidung eine Volksabstimmung über die Zukunft der Kernkraft. Laut einer am Sonntag in der Zeitung „Journal du Dimanche“ veröffentlichten Umfrage sind 62 Prozent der Franzosen für ein Ende der Atomkraft in den kommenden 25 bis 30 Jahren. 15 Prozent befürworten ein rascheres Ende. Nur noch 22 Prozent lehnen einen Ausstieg ab.

Die konservative französische Regierung bekennt sich trotz dieses Widerstands klar zur Atomkraft. Ministerpräsident François Fillon sieht keine Alternative zum bisherigen Energiekonzept des Landes: „Wir denken, dass die Atomenergie eine Zukunftslösung ist.“ Dies gelte vor allem mit Blick auf die Klimaziele, die ohne die Atomindustrie momentan nicht zu erreichen seien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2011)

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