Saudiarabien: Wachsende Armut im Erdölparadies

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Der Golfstaat gerät unter Druck. Das saudische Königreich ist zwar eines der wohlhabendsten Länder der Welt. Doch 40 Prozent der Jugendlichen haben keinen Job. Etwa 670.000 Familien leben unter der Armutsgrenze.

Riad. Die Witwe Um Haney sitzt an der Straße in Batha, dem Altstadtviertel der saudischen Hauptstadt Riad, und verkauft geröstete Melonensamen und Plastikspielzeug. Ihren Mann hat sie vor drei Jahren verloren. Nun muss sie ihre siebenköpfige Familie allein ernähren. „An guten Tagen verdiene ich mehr als 100 Riyal (20 Euro), aber an manchen Tagen gehe ich auch mit leeren Händen nach Hause“, erzählt die 53-Jährige. „Alles wird teurer, und das Leben wird immer schwieriger für uns.“

Bader Al Khattaf geht es gut. Er schläft bis drei Uhr nachmittags, vor sechs Monaten hat ihm sein Vater einen neuen Lexus geschenkt. Nach dem Aufstehen betet er, isst mit der Familie zu Abend, trifft sich mit Freunden und verbringt den Rest der Nacht vor dem Computer. Nach dem Morgengebet um fünf Uhr geht er schlafen. „Was soll ich sonst den ganzen Tag tun?“, sagt der 24-Jährige.

Das sind zwei Geschichten aus Saudiarabien, die scheinbar sehr verschieden sind. Doch beiden Hauptpersonen ist gemein, dass sie keine Arbeit haben. Arbeitslosigkeit ist ein wachsendes Problem in Saudiarabien, das vor allem Frauen und junge Menschen betrifft. Nach Schätzungen sind im Königreich 40 Prozent der Unter- 25-Jährigen ohne Arbeit.

König versprach Arbeitslosenhilfe

Al Khattaf und Um Haney haben sich um die neue Arbeitslosenunterstützung beworben, die König Abdullah im Februar versprochen hat. Sie ist Teil eines rund 100 Milliarden Euro umfassenden Sozialpakets der saudischen Regierung, die damit Proteste wie in anderen arabischen Ländern vermeiden will. Nach Medienberichten haben sich schon mehr als zwei Millionen Saudis darum beworben. Erstmals ausgezahlt werden sollen die monatlich umgerechnet 200 Euro erst im Herbst.

Um Haney hat einen Schulabschluss, aber keine Berufsausbildung. „Ich weiß noch nicht, ob ich die Unterstützung wirklich bekommen werde“, meint sie. „Denn die Regierung sagt, ich muss nachweisen, dass ich mich um Arbeit bemüht habe. Aber was sollte ich arbeiten?“ Al Khattaf hat einen Fachhochschul-Abschluss als Büro-Manager. Er hat sich auf einer Regierungs-Webseite eingeschrieben, die Jobs im staatlichen Sektor vergeben soll. „Der private Sektor ist nichts für mir“, sagt er. Dort habe er sich gar nicht beworben. „Ein Job in der Verwaltung bietet viel mehr soziale Sicherheit.“

„Die Preise sind gestiegen“

Im Augenblick wird Al Khattar von seinem Vater, der Immobilien verkauft, finanziell unterstützt. Er wohnt auch noch im Haus seiner Eltern. Er sagt, sein Vater mache ihm keinen Druck, auf eigenen Beinen zu stehen. Es sei jedoch „höchste Zeit“ gewesen, dass König Abdullah etwas für Arbeitslose getan habe. „Die Preise bei uns sind stark gestiegen. Natürlich bin ich nicht der Einzige, der dieses Problem hat. Deshalb schäme ich mich nicht. Viele meiner Freunde sind in derselben Situation.“

Al Khattars Fall sei typisch für die Jugendarbeitslosigkeit, sagt der Geschäftsmann Turki Faisal Al Raschid, der zwei Bücher über Armut in Saudiarabien veröffentlicht hat: „Die jungen Leute in den großen Städten sind meistens gut ins soziale Netz ihrer Familien eingebunden. Anders sieht es jedoch für Frauen und die Menschen in den ländlichen Regionen aus.“

Nach einer Studie des Ministeriums für ländliche Entwicklung von 2008 gibt es in Saudiarabien 670.000 Familien, die unter der Armutsgrenze leben. Nach Al Raschids Schätzung sind das rund drei Millionen Saudis.

Es sei eine riesige Herausforderung für die Regierung, Jobs für die vielen jungen Leute zu finden, sagt Al Raschid. 38 Prozent der Saudis sind unter 14 Jahre alt. Und derzeit werden fast alle handwerklichen, gewerblichen und Dienstleistungsberufe von acht Millionen Gastarbeitern vor allem aus Süd- und Ostasien ausgeübt. 85 Prozent der Beschäftigten im Privatsektor sind Nicht-Saudis.

Um Haney will auf jeden Fall ihren Stand behalten, auch wenn sie Arbeitslosenunterstützung erhalten sollte. Und Al Khattar ist wenig optimistisch für die Zukunft: „Ich denke nicht, dass meine Generation noch so gut verdienen wird wie die meines Vaters.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2011)

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