Kosovo-Grenze: „Das wäre permanente Provokation“

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te(c) AP (DARKO VOJINOVIC)
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Oliver Ivanović, Generalsekretär in Serbiens Kosovo-Ministerium, kritisiert den Polizeieinsatz an der Grenze und „politische Unreife“ in Prishtina. Eine Teilung des Kosovo lehnt er ab.

Die Presse: Spezialeinheiten der Kosovo-Polizei haben Grenzübergänge zu Serbien besetzt. Wie wird Belgrad darauf reagieren?

Oliver Ivanović:
Wir haben eine Beschwerde an Brüssel gerichtet. Wir wollen, dass das international geregelt wird und wir nicht direkt hineingezogen werden. Denn das könnte zu einem Zusammenstoß führen, und das wäre ein schwerer Rückschlag für die Region. Ein Rückschlag ist es aber ohnedies.

Die Presse: Sollte weiterhin Spezialpolizei an der Grenze stehen: Was würde das für Serbien bedeuten?

Ivanovic: So etwas ist total ausgeschlossen. Das wäre eine permanente Provokation. Die Sonderpolizisten wurden aber bereits abgezogen.

Die Presse: Im Kosovo argumentiert man, jederzeit Polizeieinheiten an die Grenze des eigenen Staates entsenden zu können.

Ivanovic: Kosovo ist weder ein Staat, noch ist das eine Staatsgrenze. Das ist eine administrative Grenze. Der Kosovo ist nach wie vor Teil Serbiens.

Die Presse: Was jetzt geschieht, ist nur die letzte Eskalationsstufe der jüngsten Vorfälle. Der Dialog zwischen Belgrad und Prishtina wurde ausgesetzt. Und ein Hauptgrund für die Probleme ist, dass Serbien die Zollstempel des Kosovo nicht anerkennt.

Ivanovic: Die kosovarische Seite hat die Form dieser Stempel unilateral verändert, so, als wäre Kosovo ein eigener Staat. Das ist für uns nicht akzeptabel.


Die Presse: Gefährden die jetzigen Probleme das Abkommen, das Belgrad erst jüngst mit Prishtina geschlossen hat?

Ivanovic: Es ist ein großer Erfolg, dass wir uns überhaupt getroffen haben und uns auf die Lösung technischer Fragen geeinigt haben. Wir wollen diese Kooperation fortsetzen. Der Aufmarsch der Spezialpolizei hat aber gezeigt, dass einige in Prishtina nicht an einer Lösung interessiert sind. Sie versuchten, Muskeln zu zeigen, und nicht, einen Dialog zu suchen.

Die Presse: Edita Tahiri vom Kosovo-Verhandlungsteam sagte, das Abkommen bedeute das Ende der sogenannten serbischen Parallelstrukturen im Kosovo.

Ivanovic: Das ist nicht realistisch. Diese Strukturen sind zudem keine Parallelstrukturen, sie sind die einzigen Strukturen. Im Norden des Kosovo hat keine Institution eine direkte Verbindung mit Prishtina - abgesehen vor der Polizei. Wir haben das Kosovo-Polizeikorps aber nur mit massiver Einbindung der EU-Mission Eulex akzeptiert.

Die Presse: Das Problem für Kosovo ist doch, dass Gespräche mit Belgrad so aussehen könnten, als würde man erneut über den Status des Kosovo verhandeln.

Ivanovic: Sie denken, sie haben die Angelegenheit gelöst. Aber sie verschließen ihre Augen vor der Realität. 76 Länder haben den Kosovo anerkannt. Aber Serbien und auch große Länder wie Russland und China sind nicht darunter. Die Regierung in Prishtina hat die öffentliche Meinung nicht auf die Verhandlungen vorbereitet. Das zeigt, dass sie schwach sind. Und es zeigt ihre politische Unreife.

Die Presse: War die öffentliche Meinung in Serbien auf diese Verhandlungen vorbereitet? Die Opposition kritisiert, dass mit diesen Gesprächen die Regierung des unabhängigen Kosovo anerkannt wird.

Ivanovic: Um ehrlich zu sein: Auch die öffentliche Meinung in Serbien ist nicht genügend vorbereitet. Wir müssen einfach klarmachen, dass wir Probleme etwa bei Telekommunikation und Elektrizitätsversorgung ohne Kontakte zu Prishtina nicht lösen können. Serbien kann nicht mit dem Helikopter Strom in Enklaven wie Gračanica bringen. Wir werden nie die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen - aber wir müssen mit ihnen sprechen, um technische Fragen zu lösen.

Die Presse: Serbiens Innenminister hat erneut eine Teilung des Kosovo ins Spiel gebracht.

Ivanovic: Das sind freie Gedanken von Minister Ivica Dačić, aber nicht die Meinung der Regierung. Eine Teilung des Kosovo wäre schlecht: Sie wäre eine Anerkennung der vollen Unabhängigkeit des südlichen Teils des Kosovo. Es leben mehr Serben im Süden als im Norden, und hier steht auch der Großteil unserer Klöster. Eine Teilung wäre auch schlecht für die Menschen im Norden. Wenn man eine Grenze durch Mitrovica ziehen würde, würde Mitrovica zu einer Geisterstadt. Vor allem die Intellektuellen würden wegziehen. Meine Angst: Dann wandert auch die Universität ab, und das würde die Abwanderung von 3000 Menschen aus Mitrovica an einem Tag bedeuten. Der Status des Kosovo ist für mich eine offene Frage. So lange bis beide Seiten offener und kreativer sind als heute, um eine endgültige Lösung zu finden.

Die Presse: Aber Serbien steht doch bereits heute unter Druck der USA und von Teilen der EU, seine Politik bezüglich Kosovo zu ändern.

Ivanovic: Nur einige EU-Länder üben Druck aus - nicht die gesamte EU. Fünf EU-Staaten erkennen den Kosovo als Staat gar nicht an. Ich befürworte das Zypern-Modell: Serbien soll gemeinsam mit Kosovo in die EU aufgenommen werden. Dann sollen die Menschen in Serbien und im Kosovo eine Lösung finden. Und was immer auch diese Lösung sein mag: das ist die endgültige Lösung.

Die Presse: Die EU-Staaten sind von der Aussicht auf ein neues Zypern aber nicht gerade begeistert.

Ivanovic: Ich weiß, aber das ist nicht fair und das kann nicht aufrechterhalten werden. Wenn Serbien dazu gezwungen würde, für die EU den Kosovo aufzugeben, würde Serbien die EU aufgeben. Eine neue Regierung in Serbien wäre in diesem Punkt wahrscheinlich sogar härter. Und die EU kann nicht so unfair sein. Sie hat bereits ähnliche Modelle auf Zypern und in Nordirland akzeptiert. Die EU ist hier nicht mehr jungfräulich. Die EU kann die Integration des Westbalkan nicht einfach aufgeben. Und ohne Serbien ist die Integration des Westbalkan nicht möglich.

Die Presse: Was kann für die Versöhnung zwischen Serben und Kosovo-Albanern getan werden?

Ivanovic: Ich denke, eine Wahrheitskommission wie in Südafrika könnte einiges bewirken, um Untaten aufzuarbeiten, die auf unterer Ebene geschahen. Die großen Verbrecher müssen aber vor Gericht gestellt werden. Und dafür muss das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag seinen Job erledigen. Und zwar auch, wenn es um Kosovo-Albaner geht. Das Tribunal muss den Vorwürfen von Organhandel, die gegen hohe Politiker im Kosovo im Raum stehen, nachgehen und das restlos klären.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2011)

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