Gasprozess: Justiz drohte Timoschenko mit Verhaftung

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Der Richter gab einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Inhaftierung der Ex-Premierministerin nicht statt - Entspannung ist aber nicht angesagt. Timoschenko steht wegen eines umstrittenen Gasdeals vor Gericht.

Kiew/Wien. Eine Mittagspause blieb Richter Rodion Kirejew gestern verwehrt. Als das Gericht im Kiewer Stadtteil Petschersk um 13 Uhr seine Sitzung unterbrach, hatte der 31-Jährige andere Dinge zu tun, als sich auf einen späten Imbiss zu freuen. Er musste eine Entscheidung treffen – zumindest sollte es so aussehen. Der Staatsanwalt hatte im seit 24. Juni laufenden Prozess gegen Julia Timoschenko eine Verhaftung der ukrainischen Ex-Premierministerin beantragt – und Kirejew musste nun über die Rechtmäßigkeit urteilen. Die Begründung für die Verschärfung der Gangart lautete: Timoschenko torpediere die Verhandlung, verletzte die Prozessordnung.

Als Kirejew, ein junger, erst kurz vor Prozessbeginn an das Gericht versetzter Richter, schließlich um 14 Uhr den Antrag ablehnte, war die Erleichterung unter Timoschenkos Anhängern groß. „Janukowitsch traut sich nicht, mich zu verhaften“, verkündete die kämpferische Politikerin sogleich über den Mikroblog Twitter.

Prozess mit klarem Ausgang?

Timoschenko steht wegen eines umstrittenen Gasdeals aus dem Jahr 2009 vor Gericht. Die Anklage wirft ihr vor, damals ihre Kompetenzen als Premierministerin überschritten und den Staat um 190 Millionen Dollar gebracht zu haben. Timoschenkos Gasabkommen mit dem russischen Premier, Wladimir Putin, löste einst die Gaskrise mit Russland – Timoschenko schaltete aber auch den mächtigen Zwischenhändler RosUkrEnergo aus, der der „Partei der Regionen“ des jetzigen Präsidenten, Viktor Janukowitsch, nahesteht. Die heutige Regierung will eine Revision des Vertrags erreichen.

Im Umfeld von Timoschenkos „Vaterlands“-Partei gilt es als unbestritten, dass der ukrainische Präsident, Viktor Janukowitsch, im Prozess seine Hände ihm Spiel hat. Die Anklage sei fabriziert, sagt Timoschenkos Sprecherin Natascha Lysowa zur „Presse“. „Janukowitsch will einen politischen Gegner ausschalten.“ Das Gericht sei nicht unabhängig, agiere auf Anweisung der Staatsspitze. Man verweist auf die Parlamentswahlen nächsten Herbst; Timoschenko solle „ausgeschaltet“ werden. Auch ausländische Prozessbeobachter kritisieren hinter vorgehaltener Hand die Verhandlung als „politisch motiviert“. Womöglich habe man Timoschenko die Opferrolle, die ihr die gestrige Verhaftung beschert hätte, nicht gönnen wollen.

Während die Justiz den Prozess offenbar schnell über die Bühne bringen will – man munkelt von einem Urteil im August, spätestens September –, scheint Timoschenko auf Zeit zu spielen. Seit Prozessbeginn hat sie bereits vier Anwälte verbraucht. Drei legten ihr Mandat mit der Begründung nieder, das Gericht habe ihnen zu wenig Zeit für die Durchsicht der Anklage gelassen. Gestern war Timoschenko als Einzelkämpferin im Saal erschienen, ohne Rechtsvertreter. Der Abzug der Anwälte sei „eine Form des Protests“, sagte sie unlängst. Auch wenn das Prozessende naht: Die Tage im Petschersker Bezirksgericht sind lang.

Auf einen Blick

Seit Ende Juni findet in der ukrainischen Hauptstadt, Kiew, der Prozess gegen Ex-Premierministerin Julia Timoschenko statt. Sie wird unter anderem des Amtsmissbrauchs verdächtigt. Beim Abschluss eines Gasvertrags mit Russland im Jahr 2009 soll sie ihre Kompetenzen überschritten haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2011)

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