Gefährliches Zündeln im Pulverfass Kosovo

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Serbische Hooligans fackelten eine Grenzstation ab und schossen auf Soldaten der internationalen Friedenstruppe Kfor. Belgrad und Prishtina weisen sich gegenseitig die Schuld für die Eskalation zu.

Jarinje. Ein Geruch von geschmolzenem Kunststoff liegt über der flirrenden Hitze. Wellblechreste baumeln vom zerstörten Dach der Abfertigungshalle. Verkohlte Fensterhöhlen geben den Blick in die geplünderten Büros des Grenzübergangs Jarinje im Nordkosovo frei.

Im Schritttempo holpern Autos an ausgebrannten Fahrzeugwracks vorbei. Soldaten kontrollieren mit geschulterten Gewehren die wenigen Grenzgänger. Ja, am Vorabend sei es hier heiß hergegangen, aber Hitze sei er aus seiner Heimat New Mexico „zum Glück gewohnt“, berichtet mit bitterem Lächeln ein US-Soldat der internationalen Friedenstruppe Kfor. Zu dem eskalierenden Grenzkonflikt zwischen Kosovo und Serbien mag er sich nicht  äußern: „Wir stehen auf keiner Seite – und sichern nur den freien Verkehr.“

50 vermummte Schläger

Augenzeugen waren am Vorabend nicht gefragt. Serbische Journalisten waren die ersten Opfer von über 50 vermummten „Vaterlandsverteidigern“, die gegen 19 Uhr mit einer Planierraupe vom Nordkosovo aus in die Zollstation an der Grenze zum Kosovo rollten. Bewaffnet mit Äxten, Knüppeln und Benzinkanistern, legten sie am Mittwochabend den Grenzübergang in wenigen Minuten in Schutt und Asche. Während sich die Zollbeamten in einen Kfor-Helikopter flüchten konnten, testeten die Hooligans ihre Schlagkraft an den Journalisten: Zwei Reporter der Nachrichtenagentur Tanjug und des TV-Senders RTS wurden mit Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Die Hooligans schossen auch auf Soldaten der Kfor.

Nicht zum ersten Mal wird im Pulverfass Kosovo beim Dauerkonflikt zwischen Serben und Albanern kräftig gezündelt. Bereits unmittelbar nach der von Belgrad abgelehnten Unabhängigkeitserklärung der Exprovinz Kosovo im Jahre 2008 hatten nationalistische Extremisten mit stiller Billigung von Serbiens damaliger Regierung zwei Grenzübergänge im Nordkosovo abgefackelt, bevor wenig später in Belgrad selbst mehrere Botschaften in Flammen aufgingen. In den mühseligen Nachbarschaftsbeziehungen scheinen die beiden Seiten trotz internationaler Vermittlungsanstrengungen seitdem nur wenig Fortschritte erzielt zu haben. Mit gegenseitigen Schuldzuweisungen machen sich Prishtina und Belgrad für ihren aus dem Ruder gelaufenen Grenzkonflikt verantwortlich.

Ein folgenschwerer Streit um einen Stempel hat zu dem neuerlichen Tiefpunkt geführt. Belgrad blockiert schon seit 2008 die Einfuhren aus Kosovo, weil sie dessen Zollstempel genauso wenig anerkennt wie dessen Unabhängigkeit. Nur auf Druck seiner westlichen Schutzmächte hatte Prishtina bislang von Gegenmaßnahmen abgesehen. Als Belgrad zuletzt die Verhandlungen über eine fast schon erzielte Kompromisslösung kurzfristig platzen ließ, war in Prishtina der Geduldsfaden gerissen. Erst verhängte Kosovo vergangene Woche ein Importembargo gegen Belgrad. Dann ließ Prishtina für dessen Durchsetzung zu Wochenbeginn erstmals zwei Grenzübergänge im serbisch kontrollierten Nordkosovo von Eliteeinheiten der Polizei einnehmen. Wütende Reaktionen Belgrads und der Kosovo-Serben waren die Folge, die sich nicht nur mit Straßenblockaden gegen die befürchtete „Annektierung“ wehrten: Ein Kosovo-Polizist erlag am Dienstag dem Kopfschuss eines serbischen Heckenschützen.

„Keine Kompromisse“

Mit tiefen Ringen unter den Augen trat Kosovos Premier vor die Kameras. Hinter den Gewalttaten stünden „offizielle Regierungsvertreter“ Belgrads, die serbische „Parallelstrukturen“ in Kosovo finanzieren würden, meinte Hashim Thaçi erbost: Für Prishtina werde es bei der Durchsetzung des Importverbots „keine Kompromisse“ geben. Mit ihrem „kriminellen“ Akt hätten die Hooligans den Albanern in die Hände gearbeitet, sagte Serbiens Chefunterhändler Borislav Stefanović: „Es gab Fortschritte bei den Gesprächen. Und jemand versucht nun, diese zunichte zu machen.“ Anders sieht die kososvarische Verhandlerin Edita Tahiri: Belgrad habe die fast schon erzielte Einigung über die Zollstempel mit dem Fernbleiben in Brüssel mutwillig platzen lassen.

Ein vierstündiges Gespräch der serbischen Behörden mit Kfor-Vertretern am Donnerstag Abend brachte indes keine Ergebnisse. Die Serben forderten die Wiederherstellung der Situation an den Grenzübergängen vor Dienstag. Bis dahin waren diese von serbischen Angehörigen der kosovarischen Behörden kontrolliert worden. Die Kfor lehnte das jedoch ab. Am Samstag will das Parlament in Belgrad in einer Sondersitzung über die Angelegenheit beraten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2011)

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