Kuba: Der lange Abschied vom Sozialismus

(c) AP (Javier Galeano)
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Raúl Castro ließ sich vom Parlament Maßnahmen absegnen, mit denen er die Wirtschaft sanieren und die Kommunistische Partei retten will. Kubaner warten auf Möglichkeit der geschäftlichen Selbständigkeit.

Alles muss sich ändern, damit alles bleibt, wie es ist.“ – Es war Fürst Salina, ein in die Jahre gekommener sizilianischer Adliger, der diesen legendären Satz sprach, jedenfalls in Tomasi de Lampedusas Roman „Il Gattopardo“. Und es ist Raúl Castro, ein in die Jahre gekommener kommunistischer Patriarch, der sich anschickt, den Leitspruch des Fürsten auf seine Realisierbarkeit zu testen.

Zum kubanischen Nationalfeiertag am 26.Juli hatte sich Raúl Castro (80) nicht gezeigt, ebenso wenig sein großer, 84-jähriger Bruder Fidel. Nunmehr fünf Jahre an der Staatsspitze waren dem Jüngeren offenbar nicht Anlass genug für eine große Sause. Stattdessen sprach Raúl am Montag vor der Nationalversammlung und ließ sich von den 600 Abgeordneten jene Wirtschaftsreformen abnicken, die der VI. Kongress der allein regierenden KP erst im April beschlossen hatte. Unter anderem wurde damals, um hunderttausende überflüssige Staatsbedienstete nicht mehr alimentieren zu müssen, die freie Ausübung von 178 Berufen erlaubt.

An die 200.000 Kubaner haben inzwischen Anträge gestellt, selbstständig sein zu dürfen: als Friseure, Hochzeitsplaner, Tischler, Klempner, Fußpfleger und so weiter. Besonders gefragt sind offenbar Erlaubnisse für den Betrieb von Restaurants und die Vermietung von Zimmern an Touristen. Wer das „Si“ des Staates bekommt, muss dem Fiskus Lizenzgebüren bezahlen und natürlich auch Steuern. Einnahmen von 15 Millionen Dollar erwarten die Behörden schon dieses Jahr von diesen neuen Unternehmern.

Gegen alle Widerstände

Das ist natürlich nur ein bescheidener Anfang, aber der Weg der Inselwirtschaft ist markiert, das hat Castro den Abgeordneten recht deutlich gesagt: „Begegnen wir geduldig und gleichzeitig beharrlich allen Widerständen, die sich, bewusst oder unbewusst, dem Wandel entgegenstellen. Jeglicher bürokratischer Widerstand gegen die Beschlüsse des Parteikongresses ist zwecklos.“ Und ohne jede Ironie sagte er im 53. Jahr von Kuba unter Castro: „Vergessen wir nicht, dass das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts schon abgelaufen ist.“

Tatsächlich sieht es so aus, als würde sich Kuba tatsächlich schneller wandeln als in Raúls ersten fünf Jahren. So will es die Regierung ihren Untertanen bald erlauben, nicht nur selbst produziertes Gemüse zu verkaufen, sondern auch Autos und Immobilien. Damit würde ein seit Jahren illegal florierender Markt legalisiert.

In einer abgelegenen Ecke in der historischen Innenstadt von Havanna treffen sich immer noch täglich Wohnungssuchende und Wohnungsvermittler zu einem illegalen Stelldichein im Morgengrauen. Von einem legalen Immobilienmarkt erwarten sich die Behörden nicht nur neue Steuern und weniger Schmiergeld für korrupte Beamte: Die chronische Unterversorgung mit Wohnraum soll behoben werden, die Bauwirtschaft erwachen – vor allem mit Dollars aus dem Ausland.

Raúl Castro spekuliert offenbar auf die Heimatliebe vieler Exilkubaner. Im Parlament sprach er ungewöhnlich milde von den Ausgewanderten, die im Parteijargon einst als „Kontrarevolutionäre“ und „Würmer“ bezeichnet wurden: „Die Zusammensetzung der Emigranten hat sich seit den Tagen der Revolution stark verändert. Die meisten haben die Insel aus wirtschaftlichen Gründen verlassen“, sagte Castro, „und sie bewahren ihre Liebe für ihr Vaterland.“

Professionelle „Castrologen“ werten diese Einlassung als Hinweis darauf, dass vor allem Auslandskubaner von den Reiseerleichterungen profitieren, die Castro vor dem Kongress nebulös ankündigte. Bisher wird zigtausenden Emigranten die Einreise nach Kuba verweigert, Castro-Gegner in Miami, dem Hauptfluchtort der Kubaner, behaupten, bis zu 200.000 Exilanten stünden auf Havannas schwarzer Liste.

Das Problem mit der Reisefreiheit

Ob jedoch auch die Ausreisehindernisse für gewöhnliche kubanische Bürger zu jenen Vorschriften zählen, die laut Castro „unnötigerweise über einen langen Zeitraum“ aufrechterhalten wurden? Noch müssen nämlich Kubaner sehr viel Geld und noch mehr Geduld aufbringen, um mit einigem Glück die „weiße Karte“ der Behörden zu ergattern, die eine Reise ins Ausland ermöglicht.

Der Präsident selbst dämpfte jedenfalls schon mal die Erwartungen: Auch weiterhin werden Maßnahmen gelten, die „den Raub von Talenten durch mächtige Staaten verhindern“ sollen.

Es scheint, als wolle Castro doch nicht alles ändern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2011)

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