Salzburger Trilog: "Freifahrt des Westens geht zu Ende"

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Warum die Welt eine globale Regierung braucht, sie trotzdem nicht zustande bringt und wie neue Krisen verhindert werden können, diskutierten internationale Meinungsführer beim diesjährigen Salzburger Trilog.

Salzburg. Die Angst vor einer neuen Rezession steigt, doch das Vertrauen in die Politik sinkt dramatisch. 77 Prozent der Österreicher glauben, dass die bisherigen internationalen Anstrengungen nicht ausreichen, eine neue Wirtschaftskrise zu verhindern. Das ergab eine Meinungsumfrage, welche die Bertelsmann-Stiftung als Diskussionsgrundlage für den diesjährigen Salzburger Trilog durchführen ließ. Eine hochkarätige Runde debattierte am Freitag darüber, wie neue ordnungspolitische Pfeiler in das globale System eingeschlagen und neue Krisen verhindert werden können.

Die Chefs der Welthandelsorganisation WTO, Pascal Lamy, und der Unido, Kandeh Yumkella, brachten ihre Gedanken ebenso ein wie der Investor Nicolas Berggruen oder der Unternehmer Andrea Illy und die Außenminister Österreichs, Michael Spindelegger, Georgiens, Grigol Vashadze, und Armeniens, Edward Nalbandian. Am Tisch saßen zudem Anthropologen, Ökonomen und Geschäftsführer. Es galten die nach dem britischen Think-Tank Chatham House benannten „Chatham Rules“: Journalisten durften zuhören, Zitate aber nicht zuordnen.

Krise als Energiequelle

„Wir haben eine weltweit integrierte Wirtschaft, aber eine fragmentierte Politik“, beklagte einer der Ökonomen. Eine neue Dynamik erhofft er sich von „globalen Bürgern“, die ihre Regierungen stärker als bisher dazu drängten, verbindliche internationale Regelwerke aufzustellen. In der Geschichte freilich gab es, wie ein Diskutant aufzeigte, noch eine zweite Energiequelle, die letztlich den Anstoß gab für die Schaffung globaler Institutionen: die Krise. Die UNO, der Internationale Währungsfonds, die Weltbank – die wesentlichen Bestandteile des heute zum Teil überholten internationalen Gremiensystems, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen. Und auch die G20 gewann erst im Zug der Finanzkrise an Bedeutung.

„Eine Ära bricht zusammen, die Freifahrt des Westens geht nach 300 Jahren zu Ende“, warf ein Teilnehmer aus Indien ein. Das ganze System müsse überdacht werden. Die aufstrebenden Milliarden in Asien könnten nicht im selben Ausmaß Ressourcen verbrauchen, wie Europäer und Amerikaner das bisher getan hätten. „Das Zeitalter des Überflusses ist vorbei“, ergänzte ein Afrikaner. Das sei den Menschen schwer zu verkaufen, besonders im Westen.

Die vergeblichen Versuche, die UNO den neuen geopolitischen Gegebenheiten anzupassen und Länder wie Brasilien, Indien oder Nigeria in den Sicherheitsrat aufzunehmen, hat Frustration hinterlassen. Die Reform der Institutionen sei eine hoffnungslose Übung, sagte ein leidgeprüfter Exdiplomat. Ein amtierender Außenminister warnte davor, neue Institutionen zu schaffen.

Strukturen in neuem Geist nützen

Man müsse die bestehenden Strukturen in einem neuen Geist nützen. Doch wie das funktionieren soll, konnte niemand so genau sagen. Die Globalisierung habe Millionen Menschen aus der Armut gehoben, fasste ein Ökonom zusammen. Doch gleichzeitig habe die Interdependenz, die gegenseitige Abhängigkeit, das globale Risiko erhöht. Das gelte nicht nur für die Finanzwelt. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis es eine globale Pandemie gebe. Und in Zukunft werde die Fähigkeit, Schocks zu absorbieren, weiter sinken. „Wir brauchen ein neue globale Regierungsebene“, lautete das Fazit. Wenn jedoch westliche Demokratien nicht in der Lage seien, Herausforderungen wie die Wirtschaftskrise oder Migration in den Griff zu bekommen, werde die Bevölkerung zunehmend gegen die Globalisierung protestieren, und das könnte zu einer neuen Kultur nationaler Abschottung führen. Die Wohlstandsverluste wären enorm.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2011)

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