Nato-Angriffe auf Sirte, humanitäre Krise in Tripolis

Freiwillige verteilen in Tripolis Essen.
Freiwillige verteilen in Tripolis Essen.(c) REUTERS (Youssef Boudlal)
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Die Rebellen stehen vor Gaddafis Heimatstadt Sirte und erhalten offenbar Unterstützung aus der Luft. In der Hauptstadt Tripolis sprechen Rebellen unterdessen von einer humanitäre Krise.

Nato-Kampfflugzeuge haben auch am Sonntag die Heimatstadt des untergetauchten libyschen Langzeit-Machthabers Muammar al-Gaddafi angegriffen. "Während der vergangenen 72 Stunden und auch heute haben wir Luftangriffe auf Sirte ausgeführt", hieß es von offizieller Seite des Militärbündnisses. Begründet wurden die Luftschläge mit der Bedrohung von Zivilisten.

Die Aufständischen in Libyen stehen nach eigenen Angaben zum Angriff auf die Küstenstadt Sirte bereit. Die Rebellen warnten vor einem Ende ihrer Verhandlungsbereitschaft mit den Stammesführern der Stadt. "Es wird keine endlosen Verhandlungen geben", sagte ein Sprecher des Nationalen Übergangsrats. Wenn nicht rasch eine Einigung zur Übergabe der Stadt erzielt werde, solle sie militärisch eingenommen werden.

Die Rebellen würden nicht mehr als zehn Tage, brauchen, um die Kontrolle über Sirte zu erlangen, sagte ein Rebellenkommandant der Nachrichtenagentur Reuters am Sonntag.

"Wir beobachten genau, was in Sirte passiert, weil wir wissen, dass die Überreste des Regimes dort sind", so die Nato. Die Nato unterstützt die Rebellen - auf Basis einer UNO-Resolution zum Schutz der Zivilbevölkerung im libyschen Bürgerkrieg.

Humanitäre Krise in Tripolis

Knapp eine Woche nach dem Fall von Tripolis hat der Sprecher des libyschen Übergangsrates erstmals eine humanitäre Krise in der Hauptstadt eingeräumt. Mit Hochdruck wird vor allem an der Trinkwasserversorgung gearbeitet. Die Rebellen kündigten unterdessen die Wiederinbetriebnahme wichtiger Ölproduktionsstätten an, die während des Volksaufstandes stillgelegt wurden.

Sprecher Shamsiddin Ben Ali forderte am Sonntag alle im Ausland arbeitenden libyschen Ärzte auf, sofort in ihre Heimat zurückzukehren. Darüber hinaus sei wegen der vielen Verletzten mehr Nachschub an Medikamenten und medizinischen Ausrüstungen notwendig.

Probleme mit Wasserversorgung

Ein für technische Fragen zuständiger Rebellenvertreter sagte, rund 70 Prozent der etwa zwei Millionen Einwohner von Tripolis hätten zwar derzeit kein fließendes Wasser. Es gebe aber grundsätzlich "kein Trinkwasserproblem", weil dieses in den Moscheen verteilt werde. Die Probleme mit der Trinkwasserversorgung in der Innenstadt von Tripolis seien nicht auf Sabotage zurückzuführen, sagte der Vizechef des örtlichen Übergangsrats der Aufständischen in Tripolis, Abed al-Obeidi. Vielmehr gebe es technische Probleme vor allem mit mehreren Pumpstationen.

Der Chef des Nationalen Übergangsrats, Mustafa Abdul (Abdel) Jalil, hatte die Schwierigkeiten in Tripolis, die auch die Versorgung mit Treibstoff und Nahrungsmitteln betreffen, am Samstag mit Sabotageakten von Anhängern des langjährigen Machthabers begründet.

50.000 weiteren Inhaftierte vermisst

Die Rebellen haben seit der weitgehenden Eroberung von Tripolis nach eigenen Angaben mehr als zehntausend Menschen freigelassen, die in den vergangenen Monaten noch unter der Gaddafi-Herrschaft inhaftiert worden waren. Von fast 50.000 weiteren Inhaftierten fehle jedoch jede Spur, sagte der Rebellenoberst Ahmed Omar Bani am Sonntag in Benghazi. Der Oberst äußerte sich besorgt über das Schicksal der Vermissten. Er schloss nicht aus, dass sie getötet wurden, und verwies darauf, dass viele Bewohner der Hauptstadt derzeit Massengräber rund um die alten Haftanstalten entdeckten, etwa um das Gefängnis von Abu Slim. Nach der Einnahme von Tripolis hätten die Aufständischen in Krankenhäusern verkohlte Leichen Hunderter Gefangener gefunden.

Die Rebellen waren am vergangenen Wochenende in Tripolis einmarschiert und hatten bald darauf auch die Residenz Gaddafis erobert. Wo sich der langjährige Machthaber derzeit aufhält und ob er noch am Leben ist, ist weiter ungewiss. Der Volksaufstand gegen Gaddafi, der mehr als vier Jahrzehnte in dem nordafrikanischen Land herrschte, begann Mitte Februar.

Raffinerie angeblich unversehrt

Die größte Ölraffinerie in Libyen, Ras Lanuf an der Mittelmeer-Küste, die vor einigen Tagen noch unter Kontrolle des Regimes war, sei trotz heftiger Gefechte zwischen Rebellen und Gaddafi-Truppen in der Nähe unversehrt. Das Personal bereite die Wiederinbetriebnahme der Anlage vor, sagte Geschäftsführer Nagib Burweiss der Nachrichtenagentur Reuters. Auch die GreenStream-Gas-Pipeline zwischen Libyen und Italien sei repariert, und der Weg sei frei für eine Wiederinbetriebnahme, hieß es am Sonntag.

(APA)

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