Meglena Kunewa: "Bulgarische Doppelmoral"

Meglena Kunewa Bulgarische Doppelmoral
Meglena Kunewa Bulgarische Doppelmoral(c) FABRY Clemens
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Präsidentschaftskandidatin Meglena Kunewa klagt, Bulgarien habe nach der Wende keine wirkliche Katharsis erlebt. Als Präsidentin würde sie für die Einführung des Euro kämpfen. Ein "Presse"-Interview.

Die Presse: Sie waren als Bulgariens EU-Kommissarin drei Jahre in Brüssel tätig. Welchen Eindruck hatten Sie aus der Ferne von der Politik Ihres Landes?

Meglena Kunewa: Die „Übersetzung“ europäischer Kriterien nach Bulgarien ist immer Teil meiner Arbeit gewesen. Ich habe nie von außen auf mein Land geschaut. Ja, es gibt noch immer große Unterschiede, Dinge, die man viel besser machen könnte. Das Gute ist, dass wir uns seit dem EU-Beitritt mit den anderen 26 Ländern vergleichen können. Wenn man sich vergleicht, kann man versuchen, den Besten näherzukommen.



Bulgarien hat noch immer ein schlechtes Image in der EU. Warum?

Bulgarien und Rumänien haben die Kriterien erfüllt, die Mitgliedsländer haben ihr Okay gegeben. Wären wir draußen geblieben, dann wäre der Unterschied zu anderen Ländern jetzt noch größer.



Dennoch: In welchen Punkten hat Bulgarien noch viel zu tun?

Man kann nur schwer über die Entwicklung der Wirtschaft reden, wenn es im Parlament Lobbies gibt, die bestimmte Interessen bevorzugen. Auch im Bildungs- und Gesundheitssystem liegt vieles im Argen. Zuletzt gab es einige Besetzungen öffentlicher Posten ohne jegliche Kriterien: Die Chefin des Landwirtschaftsfonds hatte etwa nicht einmal ein richtiges Diplom. Auch das Justizsystem muss unbedingt unabhängig sein und darf nicht mit Leuten bestellt werden, die der Regierung angenehm sind. Unser größtes Problem ist, dass in der Gesellschaft das gegenseitige Vertrauen fehlt.



Das Präsidentenamt ist ein Repräsentationsposten. Wie wollen Sie dort diese Probleme lösen?

Die Parteien haben in den vergangenen Jahren ihre Autorität ziemlich verloren. Es wäre ein Zeitverlust, wenn der Präsident zur Regierungspartei gehören würde, ebenso, wenn er Teil der Opposition wäre. Denn dann würde es – wie unter dem jetzigen Präsidenten (und früherem Chef der Sozialisten, Anm.) Georgi Parwanow – keinen normalen Dialog mit der rechtsgerichteten Regierung geben. Laut unserer Verfassung muss der Präsident die Einheit der Nation garantieren. Das ist seine wichtigste Aufgabe – vermitteln zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, Produzenten und Konsumenten, schwachen und starken Regionen, zwischen den Generationen.


Als Regierungsmitglied waren auch Sie bei einer Partei – der Nationalen Bewegung Simeon II. des früheren Premiers Simeon Sakskoburggotski. Glauben Sie wirklich, Sie werden als unabhängige Kandidatin wahrgenommen?

Ich habe die Unterstützung einer Partei genutzt, aber nie einen Parteiposten innegehabt. Ich habe nie jemandem einen politischen Dienst erwiesen und meine Unabhängigkeit über die Jahre unter Beweis gestellt.


Präsident Parwanow hat vor Kurzem sein Veto gegen ein Gesetz eingelegt, dass Diplomaten, die für die sozialistische Staatssicherheit gearbeitet haben, aus dem Dienst nehmen will. Was sagen Sie dazu?

Ich an seiner Stelle hätte das Gesetz unterschrieben. Mir gefällt allerdings die bulgarische Doppelmoral nicht: Die Regierung geht zwar gegen die Diplomaten vor, aber im Innenministerium gibt es eine ganze Reihe von früheren Geheimdienstmitarbeitern, die in Führungspositionen sind. Vor ihnen haben die Menschen Angst.


Hat Parwanow Bulgarien geschadet, als er nach dem Bekanntwerden seiner eigenen Geheimdienstvergangenheit als „Agent Gotze“ nicht zurückgetreten ist?


Das ist seine persönliche Entscheidung. In vielen osteuropäischen Staaten haben Gesellschaft und einzelne Politiker eine Katharsis erlebt – leider ist das in Bulgarien nie passiert. Ich spreche nicht nur von Parwanow, sondern allgemein. Es gibt Menschen im Journalismus ...



Aber Parwanow ist Staatsoberhaupt.

Wenn es um die Formung der öffentlichen Meinung geht, sind Journalisten nicht weniger wichtig.


Sie sagten, dass sie als Präsidentin für die Euro-Einführung kämpfen wollen.

Bulgarien wird den Euro einführen und wird Mitglied von Schengen werden. Wann, das kann ich allerdings nicht sagen. Gerade jetzt in der Eurokrise sollte Bulgarien Vorschläge machen, wie die Währung gestärkt werden könnte.


Allerdings ist die Stimme des Landes in den europäischen Institutionen nicht stark zu hören. Rumänien hat sich etwa bei der Schengen-Frage viel stärker bemerkbar gemacht.

Ja, das stimmt. Wir nutzen unser Recht auf eine Stimme leider nicht ausreichend. Wir sind zu sehr mit unwichtigen innenpolitischen Kämpfen beschäftigt. Ich finde das kindisch.


Glauben Sie, dass Bulgarien bereit ist für eine Frau als Präsidentin?

Das wird sich zeigen. Ich hatte Unterstützung als Chef-Unterhändlerin mit der EU. Auch als erste EU-Kommissarin des Landes habe ich gezeigt, dass ich kämpfen kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2011)

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