USA: "In erster Linie Amerikaner, dann Moslems"

USA. Warum in den Vereinigten Staaten die Integration von Moslems weitaus besser funktioniert als in Europa.

WASHINGTON. Wenn die Tür in das Büro von Dr. Yahia Tagouri geschlossen ist, hat er nicht vielleicht einen Patienten, sondern dann betet er. Fünf Mal am Tag beugt sich der tiefgläubige Moslem, der Arzt in einem Krankenhaus in Washington ist, in seinem Zimmer gen Osten. "Die meisten meiner Mitarbeiter sind keine Moslems, aber wenn sie sehen, dass meine Türe zu ist, dann wissen sie, dass ich bete. Und das respektieren sie."

Der Respekt vor anderen Kulturen in den USA geht so weit, dass man Sultaana Freeman vor einigen Jahren erlaubte, sich verschleiert für ihren Führerschein fotografieren zu lassen, weil die moslemische Frau ihr Gesicht nicht zeigen wollte (nach dem 11. September änderte man diese Bestimmung).

Und wenn Frauen in Burka durch das riesige Einkaufszentrum Tysons Corner außerhalb von Washington gehen, müssen sie nicht befürchten, angestarrt zu werden. Das gehört hier, wo eine kleinere moslemische Gemeinde lebt, zum Alltag.

"Man ist vermutlich auch deswegen sehr tolerant, weil es wenige sind", meint Douglas Massey, Soziologie-Professor an der Princeton-Universität, über den Umgang der Amerikaner mit Moslems. Nicht einmal ein Prozent der US-Bevölkerung sind Moslems. "Sie machen zudem nur einen Teil der Einwanderer aus, nicht den Großteil, so wie in Europa."

Weil es in den USA so viele verschiedene Einwanderer gebe aus Lateinamerika, aus Indien, China, Korea, Japan, aus der Karibik, aus allen Teilen der Welt seien Moslems nur eine Gruppe unter vielen, meint auch Roger Clegg, Direktor des Think-Tank "Center for Equal Opportunity".

Daher komme es nicht zu den Spannungen wie in Europa, wo sich zwei Kulturen gegenüberstünden. "In Amerika trägt einer einen Turban, ein anderer hat einen komischen Bart, eine Frau eine Burka, eine andere einen Schleier; man toleriert das, weil es so viele verschiedene Eigenheiten sind und die auch bei einem selber toleriert werden."

Soziologie-Professor Massey zieht einen interessanten Vergleich: "Moslems in Europa sind wie Afro-Amerikaner in den USA." Schwarze würden in Amerika noch immer diskriminiert und benachteiligt werden. So ergehe es Moslems in Europa. "Das baut Ärger und Gewalt auf." Wenn junge Menschen sehen, dass sie keine Chance haben, nur weil sie einer bestimmten Bevölkerungsgruppe angehören, dann entlade sich dieser Frust in Form von Gewalt auf der Straße. Amerika habe das mit seiner schwarzen Bevölkerung in der Vergangenheit wiederholt erlebt.

Eine ähnliche Diagnose stellt Samuel Wells, Direktor für westeuropäische Studien am "Woodrow Wilson Center": "Die Jugendlichen, die in Frankreich protestierten, hatten kaum eine Ausbildung. Sie sahen keine Chancen in ihrem Leben." In den Vereinigten Staaten dagegen gebe es noch immer den Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden. "Wenn man nur hart arbeitet, kann man es schaffen. Für diesen Traum leben die Menschen."

Clegg stimmt der Einschätzung zu. Durch das europäische Wohlfahrtssystem erwarteten sich Einwanderer, dass für sie gesorgt werde. Schaffen sie es nicht, machen sie den Staat verantwortlich. In den USA dagegen müssten sie es von sich aus schaffen. Scheitern sie, seien sie dafür selbst verantwortlich. Und es gebe immer die Beispiele von Moslems, die es zu Reichtum gebracht hätten.

Einen Wendepunkt im Zusammenleben in den USA sieht Samuel Wells in den Terroranschlägen vom 11. September. "Damals mussten sich die Moslems in den USA entscheiden, ob sie Amerikaner sein wollen oder Moslems." Alle hätten sich für die USA entschieden, und das habe sich grundlegend auf das Zusammenleben ausgewirkt.

Man habe sich von radikalen Predigern getrennt und von undurchsichtigen Organisationen distanziert. "Amerikanische Moslems sind in erster Linie Amerikaner und erst dann Moslems". Auch diese Identifizierung fehle Europa.

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