Ungarischer Botschafter: "Sind keine Bananenrepublik"

Ungarischer Botschafter Keine Bananenrepublik
Ungarischer Botschafter Keine Bananenrepublik(c) Teresa Zötl
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Botschafter Vince Szalay-Bobrovniczky macht die Banken und die sozialistische Vorgängerregierung für die geplante Konvertierung der Franken-Kredite verantwortlich. Ein "Presse"-Interview.

Herr Botschafter, mit dem Streit um die Umwandlung der Franken-Kredite haben die Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn einen neuen Tiefpunkt erreicht. Wie können Sie diesen Scherbenhaufen kitten?

Vince Szalay-Bobrovniczky: Es gibt keinen Scherbenhaufen, den ich kitten müsste. Die Beziehungen sind herzlich, und zwar nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in den Grenzregionen. Die Banken sind da nur eine Facette. Wir haben auch viele Pläne für die Zukunft. Wir planen eine Veranstaltung am 20. Oktober in Wien anlässlich des 55. Jahrestags der Ungarischen Revolution von 1956 und haben ein großes Konzert mit der Landesregierung der Steiermark vor. Das Gesprächsklima wird sicher eine Weile unterkühlt bleiben, aber wir sind daran interessiert, unsere österreichischen Freunde zu beruhigen.

Konzerte und grenznahe Zusammenarbeit in Ehren, aber das ist zu viel Optimismus. Angesichts der Tatsache, dass in manchen österreichischen Medien die Vorgangsweise der ungarischen Regierung als faschistisch bezeichnet wird, ist doch Feuer am Dach.

Es ist nicht in unserer Verantwortung, dass ein derartiger Unsinn aus der untersten Schublade hervorgeholt und verbreitet wird. Bleiben wir doch bitte am Boden der Tatsachen: Die ungarische Regierung wird voraussichtlich am kommenden Montag dem Parlament einen Gesetzesentwurf zur Abstimmung vorlegen. Anders als der ursprüngliche Vorschlag sieht er vor, dass jene Personen, die ihren Kredit zu einem Zeitpunkt aufgenommen haben, als der Franken bereits mehr wert war als 180 Forint, nicht in den Genuss einer Konvertierung zum günstigen Wechselkurs kommen werden. Das macht deutlich, dass Premier Viktor Orbán nicht nur die Banken als Alleinverantwortliche sieht. Auch die Kreditnehmer haben eine gewisse Verantwortung.

Aus österreichischer Sicht ist der Zeitpunkt provokativ gewählt. Denn letzte Woche hat ja die Schweizer Notenbank eingegriffen und den Franken deutlich geschwächt. Von nun an werden es Kreditnehmer einfacher haben. Man hätte also abwarten können, wie sich die Dinge weiter entwickeln. Tat man aber nicht. Warum nicht?

Wir schätzen, dass 800.000 bis 900.000 Ungarn Probleme mit der Rückzahlung haben. Mehr als 200.000 können ihre Schulden nicht begleichen. Die Probleme werden kleiner, aber das ändert nichts daran, dass diese Menschen zahlungsunfähig sind. Viktor Orbán hat sich vor seine Bevölkerung gestellt. Es wurden über lange Perioden Franken-Kredite zu überhöhten Zinsen im Vergleich zu anderen Ländern der Region vergeben, was durch den Forint-Wechselkurs noch verschärft wurde.

Um es klipp und klar zu sagen: Die Banken haben sich an der ungarischen Bevölkerung bereichert. Anders als etwa in Österreich gab es in Ungarn kaum Regelungen zum Schutz der Kreditnehmer. Seit 1996 durften die Institute einseitig die Kreditverträge modifizieren. Das muss man im Hinterkopf behalten, wenn man hierzulande von einem Eingriff in bestehende Verträge spricht. Die Banken tun das ständig. Die Institute wurden von der österreichischen Bankenaufsicht schon vor zwei Jahren davor gewarnt, mit der Vergabe der Franken-Kredite weiterzumachen. Sie haben nicht darauf gehört. Und warum nicht? Weil es zu profitabel war. Es gibt also eine Mitverantwortung und es geht um Lastenteilung.

Aber wenn diese 1996 beschlossenen Regeln so ungerecht sein sollen, warum wurden sie nicht schon früher geändert? Schließlich war Viktor Orbán bereits von 1998 bis 2002 Premierminister.

Erstens stellte 1996 die Sozialistische Partei den Premier. Und zweitens hatten wir damals noch keine Krise. Es gab keinen Handlungsbedarf und außerdem hätten die Banken selbst auf die Problematik hinweisen können, als ihnen bewusst wurde, dass immer mehr ihrer Kunden Schwierigkeiten mit der Rückzahlung bekommen.

In Polen hat eine knappe Million Menschen Franken-Kredite laufen. Dort herrscht aber ein anderes Gesprächsklima. Letzte Woche, als die SNB den Franken geschwächt hat, rechneten die Medien mit Freude vor, wie viel Geld sich die polnischen Kreditnehmer nun ersparen werden. Da kam niemand auf die Idee zu sagen, die Banken seien schuld.

Wir sagen nicht, dass die Banken schuld sind – und schon gar nicht, dass die österreichischen Banken schuld sind. Sie haben Franken-Kredite im Volumen von 5 bis 6 Milliarden Euro vergeben, das ist nur rund ein Viertel der Gesamtsumme. Wir sprechen von Mitverantwortung. Zudem hat die polnische Regierung rechtzeitig auf die Finanzkrise des Jahres 2008 reagiert – anders als in Ungarn, wo weder Politik noch Banken dem Ganzen einen Riegel vorgeschoben haben.

Also sind nicht nur die Banken schuld, sondern auch die links-liberale Regierung von Ferenc Gyurcsány, die von 2004 bis 2009 an der Macht war.

Ich will jetzt nicht politisieren, ich sage nur, dass die notwendigen Schritte nicht gesetzt wurden. In Österreich wurde reagiert, in Polen, Tschechien und Rumänien auch. Nur in Ungarn geschah nichts.


Vor diesem Hintergrund wird das Bestreben verständlicher, Expremier Gyurcsány vor Gericht zu stellen. Geht es dabei um eine Abrechnung mit der Vergangenheit?

Nur soviel: Im Parlament wurde entschieden, seine Immunität aufzuheben, aufgrund von bewertbaren Vermutungen, die von der Staatsanwaltschaft vorgelegt wurden. Das war mit Sicherheit kein Racheakt ...

... aber diesen Anschein hat es doch.

Schauen Sie, für die Aufhebung der Immunität von Gyurcsány haben auch die Grünen und die ehemalige sozialistische Parlamentspräsidentin gestimmt. Es geht um nicht mehr als die Prüfung der Verantwortung eines Regierungschefs, der, wenn die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zutreffen, nicht alles richtig gemacht hat. Auch in anderen Ländern gibt es derartige Fälle, zum Beispiel die Causa Villepin in Frankreich oder den Fall des in Österreich verhafteten kroatischen Exministerpräsidenten Sanader.

Aber da ging es doch um strafrechtlich relevante Verdachtsmomente und nicht um die Budgetpolitik ...

... Moment bitte! Die Vorwürfe gegen Gyurcsány betreffen nicht eine falsche Wirtschaftspolitik. Es geht um den Verdacht des strafrechtlich relevanten Tatbestands des Amtsmissbrauchs bei einem konkreten Immobiliengeschäft, aus dem Ungarn ein finanzieller Schaden entstanden sein soll. Wir sind doch keine Bananenrepublik, wo man Menschen aus politischen Gründen ins Gefängnis stecken kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2011)

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