Parlamentswahl: "Russen-Partei" siegt in Lettland

Parlamentswahl RussenPartei siegt Lettland
Parlamentswahl RussenPartei siegt Lettland(c) EPA (STR)
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Nach den Wahlen vom Samstag wird die "Harmonie-Partei" der großen russischen Minderheit die stärkste Kraft in Lettland. Ob sie an die Regierung kommt, hängt aber von den ethnisch lettischen Parteien ab.

Riga/Kopenhagen. . Nach der Parlamentswahl vom Samstag steht die baltische Republik Lettland an einem Scheideweg: Das vor allem von der russischsprachigen Minderheit unterstützte „Harmonie-Zentrum“ wurde größte Partei und könnte erstmals an einer Regierung beteiligt werden. Doch das liberalkonservative Lager um Premier Valdis Dombrovskis und Ex-Präsident Valdis Zatlers kann auch mit den antirussischen Nationalisten regieren und die „Russen-Partei“ wieder in Opposition drängen.

Bei der vorgezogenen Wahl, nur ein Jahr nach dem letzten Urnengang, erzielte das sozialdemokratisch orientierte Harmonie-Zentrum mit 28,5Prozent der Stimmen und voraussichtlich 30 Mandaten im Parlament in Riga sein bisher bestes Ergebnis. Doch selbst innerhalb der Partei rechnet man nicht damit, von Präsident Andris Berzins mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden. Die Hoffnungen gelten eher den für heute Montag geplanten Gesprächen mit Dombrowskis „Einheit“-Block und Zatlers' neugegründeter Reformpartei.

Die Liste „Einheit“ fiel von 30,7 auf 18,8Prozent zurück und hat nur noch 20 statt 33 Mandate. Diese Verluste wurden jedoch von der ideologisch im gleichen Lager angesiedelten Zatlers-Partei wettgemacht, die auf 20,8 Prozent bzw. 22 Abgeordnete kam.

Letten lieber unter sich

Schon am Sonntag nahmen „Einheit“ und „Reformpartei“ Gespräche über die künftige Zusammenarbeit auf und trafen sich auch mit Vertretern der kleineren nationalistischen Fraktion „Alles für Lettland“, die auf 13,8 Prozent kam und 15 Mandatare stellen dürfte. Dies gäbe den drei Parteien eine Mehrheit von 57 der 100 Sitze, ließe die wahren Wahlsieger jedoch erneut außen vor, was in der russischen Minderheit, die ein Drittel der Bevölkerung ausmacht, große Enttäuschung auslösen würde.

Präsident Berzins forderte zur Bildung einer „breiten und stabilen Koalition“ auf. Doch der rechte Flügel von Einheit sträubt sich gegen die Zusammenarbeit mit der Russen-Partei, der man die Nähe zu Wladimir Putins „Einigem Russland“ vorwirft und auch behauptet, sie wolle nicht anerkennen, dass Lettland 50 Jahre lang von der Sowjetunion okkupiert gewesen sei.

Wohl nicht zufällig sprach der Harmonie-Vorsitzende Nils Usakovs wenige Tage vor den Wahlen bei einem Bankett mit Diplomaten unbeschwert von „50 Jahren Okkupation“ und nahm damit das in seinem Lager bisher tabuisierte Wort erstmals offiziell in den Mund. Er habe keine Probleme mit der Geschichtsinterpretation, sagte Usakovs, wolle aber nicht hinnehmen, dass seine Wählerschaft auch heute noch als Okkupanten diffamiert werde.

Parlament Hort der Korruption?

Dombrowskis lobte dieses „positive Signal“; ob es reicht, das Eis der Letten-Russen zu brechen, bleibt abzuwarten: Auch nach den vorjährigen Wahlen hatte Dombrowskis versucht, die Harmonie-Fraktion in seine Regierung zu lotsen, war dann aber an parteiinternem Widerstand gescheitert.

Die vorgezogene Neuwahl war vom früheren Präsidenten Zatlers ausgelöst worden, als er in den letzten Tagen seiner Präsidentschaft Anfang Juli ein Referendum über die Auflösung des Parlaments ansetzte, weil er fühlte, dass dort der Kampf gegen die Korruption blockiert werde. Die Volksabstimmung brachte eine sehr klare Mehrheit für die Auflösung der „Saeima“ in Riga.

Wenn es das Ziel der Wahlen gewesen war, den Einfluss der „Oligarchen“ auf die lettische Politik zu brechen, dann waren sie ein Erfolg: Ein vom Milliardär Aivars Lembergs kontrolliertes Bündnis aus Bauern und Grünen, bisher Dombrowskis Koalitionspartner, wurde von 19,4 auf 12,1 Prozent zurechtgestutzt, hat nur noch 13 statt 22 Sitze und dürfte bei der Regierungsbildung keine Rolle mehr spielen. Die von reichen Geschäftsleuten dominierte Nachfolgepartei der Volkspartei, die bis anfangs 2009 den Premier stellte, verpasste mit nur 2,4 Prozent den Einzug ins Parlament klar.

Wahlbeteiligung abgestürzt

Die Wahlbeteiligung, die 1993 bei den ersten Wahlen nach der Wiedergewinnung der Unabhängigkeit mit 89,9 Prozent einen Rekord gesetzt hatte, lag diesmal aber 60,5 Prozent so niedrig wie noch nie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2011)

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