Obama: „Es gibt keine Abkürzung zum Frieden“

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Die USA und die EU wollen die Palästinenser an den Verhandlungstisch mit Israel zwingen. Doch PLO-Chef Abbas beharrt auf seinem Antrag auf Vollmitgliedschaft in der UNO.

Den ersten Akt wollte sich keiner entgehen lassen. Die holzgetäfelten Reihen im Zuhörersaal der Weltbühne waren dicht gedrängt. Gekrönte Häupter, Präsidenten, Regierungschefs, Außenminister und ihre Stichwortgeber, sie alle strömten herbei, um der Eröffnung der 66. UN-Generalversammlung beizuwohnen. Aus Österreich waren die „Heiligen Drei Könige" angereist, sowohl Bundespräsident Heinz Fischer und Außenminister Michael Spindelegger als auch Bundeskanzler Werner Faymann. Noch nie zuvor hatten gleich drei Spitzen der Republik an einer Vollversammlung teilgenommen.

Der Spielplan war spannungsgeladen. Zur Aufführung sollte ein Klassiker gelangen, das palästinensische Drama, allerdings in einer improvisierten Neufassung: Die Palästinenser drängen mit aller Macht, die ihnen zur Verfügung steht, darauf, als 194. UN-Mitglied aufgenommen zu werden.

Obama als tragischer Held

Als vierter Redner trat ein tragischer Held ans Pult vor der grünen Steinwand: US-Präsident Barack Obama. Vor einem Jahr hatte er euphorisch angekündigt, dass die Weltgemeinschaft heuer einen neuen Staat begrüßen könnte. Die Palästinenser nehmen ihn nun beim Wort und führen ihn damit vor. Jetzt muss der Friedensnobelpreisträger, der Meister der Ankündigungen, sein Versprechen wieder einfangen.

In seiner Ansprache ließ er zunächst elegisch das „bemerkenswerte letzte Jahr", den Sturz der Diktatoren in Tunesien, Ägypten und Libyen, das Ende Osama bin Ladens Revue passieren, um sich dann dem großen „Test für die US-Außenpolitik" zuzuwenden, dem israelisch-palästinensischen Konflikt. Auch er sei frustriert vom Mangel an Fortschritten. Doch es gebe „keine Abkürzung zum Frieden", rief er den Staatenlenkern zu. Friede könne nicht durch Erklärungen und Reden vor der UNO erreicht werden, dafür müssten Israel und Palästinenser schon selbst sorgen. „Die Palästinenser verdienen einen eigenen Staat", erklärte er - aber als Folge eines Friedensschlusses. Die Freundschaft der USA zu Israel, versprach Obama, sei tief und unverbrüchlich.

Kampf drohendes Desaster

Abseits des Auditoriums, in Hotelsuiten und Konferenzzimmern, lief die internationale Maschinerie heiß, um ein diplomatisches Desaster abzuwenden. Obama wollte noch am Mittwoch 18 Uhr New Yorker Zeit Abbas persönlich davon abbringen, einen Antrag auf Anerkennung eines palästinensischen Staates im Sicherheitsrat einzureichen. Die USA haben bereits ihr Veto angekündigt. Doch Abbas lässt sich nicht beeindrucken. Mit seinem Vorstoß spaltet er die Staatengemeinschaft.

Durch die EU geht ein tiefer Riss. Israel müsse sich bewegen, sagte Frankreichs Außenminister Alain Juppé. Deutschland und die Niederlande indes halten dem jüdischen Staat weiterhin die Stange. Die EU versucht es deshalb mit der Flucht nach vorn. Gemeinsam will sie Israel und die Palästinenser wieder an den Verhandlungstisch bringen, wie Spindelegger in New York gebetsmühlenartig wiederholte. Er selbst und Heinz Fischer sollten noch am Mittwoch mit Abbas zusammenkommen.

Am Werk sind in diesen Tagen vor allem auch die diplomatischen Verfahrenstechniker. Um Zeit zu gewinnen, könnte der palästinensische Antrag im Sicherheitsrat schubladisiert werden, auch monatelang, hieß es. Doch Abbas hat auch wichtige Verbündete im Rat. Der Libanon hat derzeit den Vorsitz inne. China und Russland unterstützen offen die Palästinenser. Diese kündigten am Mittwoch an, dem Rat Zeit zu geben, um über den Antrag zu beraten. Dies könnte ein erstes Zeichen sein, dass sie die Sache während der laufenden Generalversammlung nicht bis zum Äußersten treiben wollen.

Unmittelbar nach den Reden von Abbas und Netanjahu in der UN-Generalversammlung will das Quartett am Freitag in einer Erklärung einen Rahmen für neue Friedensgespräche abstecken. Schon in vier Wochen sollen Verhandlungen beginnen. Völlig offen ist, wie der große Stolperstein aus dem Weg geräumt werden soll, der die Verhandlungen seit mehr als einem Jahr blockiert. Die Palästinenser bestehen darauf, dass Israel den Ausbau jüdischer Siedlungen in den besetzten Gebieten stoppt. Wenn Abbas darauf verzichtet, verliert er sein Gesicht.

Sarkozy warnt vor Veto

In der Hinterhand hat Abbas noch einen zweiten Joker. Er könnte in der Generalversammlung einen Antrag stellen, den Palästinensern einen aufgewerteten Beobachterstatus nach dem Vorbild des Vatikans zu gewähren. Der Sicherheitsrat müsste, anders als bei der Anerkennung eines Staates, kein grünes Licht geben. Für diese Variante sprach sich am Mittwoch auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy aus, der auch gleich einen Fahrplan für neue Verhandlungen präsentierte: Binnen sechs Monaten soll man sich über die Grenzen einig werden, in einem Jahr soll der endgültige Friedensvertrag stehen. Jedes Veto gegen gegen die UN-Aspirationen der Palästinenser könnte einen neuen Kreislauf der Gewalt auslösen, sagte Sarkozy an die Adresse der USA.

Ein Beobachterstatus würde den Palästinensern auch die Aufnahme in UN-Unterorganisationen ermöglichen. Besonders interessant wäre es für sie, Vertragsstaat des Internationalen Strafgerichtshof zu werden. Das will Israel unter allen Umständen verhindern. Es möchte seine Politiker und Generäle nicht vor einem internationalen Tribunal angeklagt sehen.

Der Einsatz in diesem diplomatischen Poker ist enorm. Israels Finanzminister Juwal Steinitz drohte am Mittwoch damit, kein Geld mehr an die Palästinenser zu überweisen, falls sie einen Antrag auf volle Mitgliedschaft in der UNO stellen. Israel überweist pro Monat rund 100 Mio. Euro, die es an Zöllen sowie Verbrauchs- und Mehrwertsteuer auf palästinensische Produkte einhebt. Auch US-Politiker drohten damit, den Palästinensern nicht mehr rund 500 Mio. Dollar pro Jahr zu überweisen. Und in Israel, der Westbank und dem Gazastreifen bereiten sich die Sicherheitskräfte schon auf gewaltige palästinensische Proteste vor, sollte Abbas wieder mit leeren Händen zurückkehren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2011)

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