Tawakkul Karman: Die islamistische Nobelpreisträgerin

Tawakkul Karman islamistische Nobelpreistraegerin
Tawakkul Karman islamistische Nobelpreistraegerin(c) AP
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Die Aktivistin Tawakkul Karman wird schon als Jemens nächste Präsidentin gehandelt. Nicht ganz klar war dem Nobelpreis-Komitee möglicherweise ihre Mitgliedschaft in der Moslembruderschaft.

Tawakkul Karman sitzt auf einem Plastikschemel vor ihrem zwei mal zwei Meter großen blauen Plastikzelt auf dem „Platz des Wechsels“ im Zentrum von Jemens Hauptstadt Sanaa. Soeben ist sie in Oslo als Friedens-Nobelpreisträgerin ausgezeichnet worden. Im Arm hält sie ihre siebenjährige Tochter, die auf ein Schild „Freiheit für den Jemen“ kritzelt. Seit mehr als acht Monaten, seit Beginn der Proteste gegen Langzeitpräsident Ali Abdullah Saleh, harrt Karman fast täglich hier aus. Bleiben will sie so lange, bis der Diktator weg ist. Über die Monate ist auf dem Platz eine Zeltstadt gewachsen. Sie ist das Herz der jemenitischen Proteste. Die 32-jährige Tawakkul Karman, Mutter von drei Kindern, ist zum Gesicht der Revolution geworden. Sie ist der Gegenentwurf zum Bild des Jemen im Westen – einem Land, das sonst nur mit al-Qaida, Armut und Unterdrückung gleichgesetzt wird.

Königin von Saba reloaded. Seit Monaten treibt Karman die Proteste an, wurde mehrmals verhaftet, war stets Repressionen ausgesetzt. Auf dem Platz des Wechsels wird sie heute wie eine Heilige verehrt. Immer wieder bilden sich Menschentrauben vor ihrem Zelt, alle wollen zum Nobelpreis gratulieren. „Tawakkul ist unsere neue Bilqis“, hört man über den Platz rufen. Gemeint ist die sagenumwobene Königin von Saba, die vor 2000 Jahren den Jemen regierte. Dass Karman bald zur ersten Präsidentin des südarabischen Landes gewählt wird, ist nicht ausgeschlossen, ihre Chancen sind realistisch. Sie winkt noch ab: „Das Präsidentenamt ist nicht mein Ziel.“

Geboren wurde Karman 1979 in Taizz, einer 250.000-Einwohner-Stadt im Zentraljemen. Ihr Vater Abdul-Salem Karman war Justizminister unter Präsident Saleh. 1994 legte er sein Amt nieder, nachdem Saleh mit militärischer Gewalt Proteste im Südjemen hatte niederschlagen lassen. Karman studierte in Sanaa Verwaltungswissenschaft. 2006 gründete sie die NGO „Journalistinnen ohne Ketten“, setzte sich für Pressefreiheit und Frauenrechte ein.

Dass sich eine Frau an die Spitze der Revolution gesetzt hat, wird in der streng islamischen Gesellschaft des Landes, in der sich Frauen normalerweise nur voll verschleiert auf die Straße wagen, als sozialer Tsunami gewertet. „Der Nobelpreis wird die Rolle der Frauen hier stärken. Viele Männer haben mir gratuliert, darunter auch wichtige Stammesfürsten. Das war bis vor Kurzem undenkbar“, so Karman.

Selbstmordattentate kein Problem.
Kritik muss sie sich indes wegen ihrer Mitgliedschaft bei al-Islah, dem jemenitischen Arm der in den 1920ern in Ägypten gegründeten Moslembruderschaft, gefallen lassen. Karman skizziert im Interview gern das Bild einer „neuen jemenitischen Zivilgesellschaft“: „Alle Menschen werden die gleichen Rechte haben. Wir werden neue Werte schaffen.“ Dass sich diese Werte mit dem Parteiprogramm von al-Islah vereinbaren lassen, ist schwer vorstellbar: Die Partei akzeptiert Selbstmordattentate gegen Israel, will außerehelichen Sex ahnden und befürwortet die Todesstrafe bei „Abkehr vom Islam“.

Angeführt wird al-Islah von Abdul Majeed al-Zindani, der von den USA als Terrorist gesucht wird. Er gilt als Kontaktmann zur al-Qaida. Während der Aufstände im Jemen haben die Islamisten eine Leitrolle übernommen. Studentenorganisation werfen der Bruderschaft vor, dass sie die Proteste nur nutzt, um an die Macht zu kommen.

Karman beantwortet Fragen zu al-Islah ungern. Sie sagt, sie lasse sich vom radikalen Flügel der Partei nicht vereinnahmen. „Die Extremisten hassen mich, weil ich die Frauen auf Straße bringe“, sagt sie. Karman ist aber überzeugt, dass die Arabische Revolution beweise, dass der Islam eine friedvolle Rolle übernehmen könne. „Heute wird der Islam im Westen nicht mehr nur mit Terror und Krieg gleichgesetzt.“

Welchen Einfluss wird al-Islah im neuen Jemen haben? „Wir sitzen alle an einem Tisch, die traditionellen Parteien, al-Islah, Studenten, Frauen und Männer. Das gab es in der Form im Jemen noch nie. Wir werden gemeinsam die Staatengemeinschaft überraschen.“ Bis es so weit ist, gilt es aber noch, den verhassten Präsidenten zu verjagen.

Stefan Kaltenbrunner ist Chefredakteur des Magazins „Datum“ in Wien, Shatha al-Harazi schreibt für die „Yemen Times“.

Tawakkul Karman (*1979 in Taizz, Jemen) ist Journalistin, Politikerin und Menschenrechtsaktivistin, aber auch Mitglied einer islamistischen Gruppierung. Sie gilt als Führungsfigur der revolutionären Vorgänge gegen Jemens Dauerdiktator Saleh und erhielt vor Kurzem gemeinsam mit zwei anderen Frauen den Friedens-Nobelpreis verliehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2011)

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