Libyen: Wie starb Gaddafi wirklich?

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Immer neue Details über die letzten Minuten des früheren libyschen Diktators werden bekannt. Die Bestattung Gaddafis verzögerte sich indes. Der Grund sind Unstimmigkeiten im Lager der neuen libyschen Machthaber.

Tripolis/Wien. Muammar al-Gaddafis Leiche lag am Freitag in einem alten Kühlhaus in Misrata und wurde nicht – wie es eigentlich die islamische Tradition verlangt – innerhalb von 24 Stunden begraben. Der Grund für die Verzögerung sind Unstimmigkeiten im Lager der neuen libyschen Machthaber, wo und wie die sterblichen Überreste Gaddafis beigesetzt werden sollen. Ein Grab in Sirte, Gaddafis Heimatstadt, berge die Gefahr, dass sein Grab zur Pilgerstätte seiner Loyalisten würde, heißt es in Kreisen der Übergangsregierung.

In Misrata, der Hochburg der früheren Rebellen, die heute die Regierung stellen, bestehe diese Gefahr nicht. Ein Begräbnistermin stehe noch nicht fest, sagte Ölminister Tarhouni gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, die Beerdigung Gaddafis werde sich noch um einige Tage verzögern. Man wolle den Leichnam für einige Tage aufbewahren, damit sich jeder davon überzeugen könne, dass Gaddafi tot sei.

Die letzten Minuten im Leben des früheren libyschen Diktators sind gut dokumentiert: Ein Video zeigt Gaddafi von aufgeregten, schreienden Kämpfern umzingelt, ein weiteres scheint kurz danach aufgenommen worden zu sein. Auf diesem, von einem Mobiltelefon stammenden Video, ist Gaddafi auf der Pritsche eines Pick-up-Geländewagens zu sehen, blutüberströmt, aber noch am Leben. Ein Mann schreit: „Lebendig! Lebendig!“ Will er den bewaffneten Mob beruhigen und die Männer beschwören, Gaddafi am Leben zu lassen? Die bewaffneten Männer zerren Gaddafi vom Fahrzeug, er taumelt, „Allahu Akbar! – Gott ist größer!“-Schreie sind zu hören. Ein weiteres, offenbar später aufgenommenes Video zeigt Gaddafi regungslos am Boden liegend, ob er zu diesem Zeitpunkt noch lebt, ist unklar.

„Brutal verprügelt, dann getötet“

Die Bilder scheinen die Darstellung des Chefs der Übergangsregierung Mahmud Jibril – er hatte erklärt, Gaddafi sei ins Kreuzfeuer von Regierungskämpfern und eigenen Anhängern geraten und habe dabei einen tödlichen Kopfschuss erlitten – nicht zu unterstützen. Ein Mitarbeiter des Übergangsrates machte Kämpfer der Regierung für Gaddafis Tod verantwortlich. „Sie haben ihn sehr brutal verprügelt und dann getötet. Das hier ist Krieg.“

Das UN-Menschenrechtskommissariat forderte eine Untersuchung der Umstände von Gaddafis Tod und äußerte die Vermutung, er sei hingerichtet worden.

Offenbar hatte die Nato eine Schlüsselrolle bei der Ergreifung Gaddafis durch Truppen des Übergangsrats gespielt: Angeblich hatte Gaddafi sich durch Telefonate mit einem Satellitentelefon verraten, westliche Geheimdienste sollen dadurch in der Lage gewesen sein, ihn zu orten. Die Informationen seien Einheiten des Nationalen Übergangsrats übergeben worden, die sich dann auf die Spur von Gaddafi begaben, heißt es. Es scheint auch wahrscheinlich, dass ein Nato-Luftangriff auf einen Konvoi von 75Militärfahrzeugen in der Nähe der Stadt Sirte Gaddafi zur Flucht in das Beton-Abwasserrohr, in dem er schließlich entdeckt worden ist, gezwungen hat.

„Wir haben später durch offene Quellen und durch Aufklärung von Verbündeten erfahren, dass sich Gaddafi im Konvoi befunden und der Angriff wahrscheinlich zu seiner Gefangennahme beigetragen hat“, heißt es in einer Nato-Mitteilung. Zur Zeit des Angriffs habe die Allianz aber nicht gewusst, dass sich Gaddafi in dem Konvoi befand“, heißt es weiter.

Wo ist Saif al-Islam?

Verwirrung herrschte zu Gaddafis Sohn Saif al-Islam. Bereits waren Gerüchte kursiert, wonach er getötet worden sei. Am Freitag wiederum meinte ein hochrangiger Beamter des Nationalen Übergangsrats, Gaddafis Sohn Saif habe sich von Sirte aufgemacht, um Richtung Süden nach Niger zu fliehen, wo bereits sein Bruder Saadi Unterschlupf gefunden hatte. Der arabische Sender Al-Arabiya berichtete wiederum, dass er verletzt festgenommen worden sei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2011)

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