Facebook und Co. lösen keine Revolutionen aus

Die Macht des Internets – viel beschworen, oft überschätzt. Wiewohl der Einfluss zweifellos steigt.

„Facebook-Revolution in Ägypten“, „Netz besiegt Minister“, „Regierungen zittern vor WikiLeaks“: Immer wieder hat es zuletzt solche Schlagzeilen gegeben, die zu dem Schluss verleiten können, das Internet gewinne immer mehr an politischer Schlagkraft. Doch wie groß ist die Macht des Netzes wirklich? Kann es autoritäre Regime stürzen, Wahlen entscheiden und der Demokratie eine neue Qualität verleihen?

Die Österreicher glauben daran, wie eine aktuelle Umfrage zeigt. In der Befragung des Instituts Marketmind bezeichneten drei Viertel der Österreicher das Internet als Werkzeug des Volkes. 79Prozent zeigten sich überzeugt, dass das Internet Revolutionen auslösen könne.

Das Ergebnis der Umfrage verwundert angesichts der Berichterstattung rund um die Umbrüche in Tunesien und Ägypten nicht. Von Web- oder Facebook-Revolutionen war da die Rede, nachdem auf dem sozialen Netzwerk zu Protesten aufgerufen und Demo-Termine angekündigt worden war. Später ruderten viele Kommentatoren zurück. Schließlich hatte sich in Ägypten gezeigt, dass die Proteste auch durch das Kappen der Internetverbindungen nicht gestoppt werden konnten.

Die Rolle des Internets im Arabischen Frühling sei übertrieben worden, betont Werner Bauer von der Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung. Facebook und Twitter hätten aber dabei geholfen, die Proteste zu organisieren.

Einer der schärfsten Kritiker der Darstellung vom Internet als Revolutionswerkzeug ist der weißrussische Forscher Evgeny Morozov von der Uni Stanford. In seinem Buch „The Net Delusion“ kritisiert er die „Cyber-Utopisten“, in deren Augen soziale Netzwerke gesellschaftliche Umstürze heraufbeschwören könnten. Dabei hatte Morozov einst selbst den Begriff der „Twitter-Revolution“ für den Aufstand im Iran 2009 geprägt. Ein Irrtum, sagt er heute. Tatsächlich sei damals Mundpropaganda das wichtigste Medium gewesen.

Umstritten ist auch die Rolle des Internets in Wahlkämpfen. Den Erfolg der Piratenpartei bei der Wahl in Berlin im September schrieben manche deutschen Medien sowohl der inhaltlichen Kompetenz der Partei beim Thema Internet, als auch dem gekonnten Einsatz von Social Media im Wahlkampf zu. Andere argumentierten hingegen, die Piraten hätten vor allem mit einem ganz und gar altmodischen Mittel die Aufmerksamkeit der Wähler gewonnen: mit ihrer Plakatkampagne. Außerdem seien die Piraten auf die Straße gegangen, hätten direkt mit den Menschen gesprochen.

Der Unternehmensberater David Röthler sieht im Internetwahlkampf ein Mittel von vielen. Ein gut gemachter Internetwahlkampf könne natürlich zu einem Erfolg beitragen, aber: „Entschieden werden Wahlkämpfe künftig genauso wenig im Internet, wie sie bisher im Fernsehen entschieden wurden.“

Große Hoffnungen auf politische Schlagkraft weckte die Enthüllungsplattform WikiLeaks. Doch weltbewegende Enthüllungen blieben aus. Gründer Julian Assange machte bald mehr mit Vorwürfen von sexuellen Übergriffen Schlagzeilen. Folgenlos ist der WikiLeaks-Hype trotzdem nicht geblieben, meint Röther. Im Sog des Hypes seien neue Enthüllungsplattformen entstanden, die in Zukunft durchaus etwas bewegen könnten. Eine Plattform, die bereits etwas bewegt hat, ist GuttenPlag Wiki. Die Internetgemeinde veröffentlichte hier abgekupferte Stellen in der Dissertation des damaligen deutschen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg und trug so zum Ende seiner politischen Karriere bei.


Plattform für Bürgerpartizipation.Der wichtigste Bereich, in dem via Internet künftig Macht ausgeübt werden dürfte, ist aber weit weniger glamourös als Revolutionen und das Stürzen von Politikern: Bürgerpartizipation. Die deutsche Stadt Solingen etwa entschied sich 2010 unter dem Druck einer drohenden Pleite dazu, Macht an die Bürger abzugeben. Sie ließ im Internet über Sparvorschläge abstimmen, das Volk entschied sich für Einsparungen von insgesamt 32 Mio. Euro. Offenbar mit Erfolg: „Solingen nicht mehr von Überschuldung bedroht“, liest man heute auf der Website solingen-spart.de.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2011)

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