Assanges Auslieferung rückt näher

(c) EPA (ANDY RAIN)
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Ein Londoner Gericht hat in dritter Instanz die Überstellung des Gründers der Enthüllungsplattform WikiLeak an Schweden gebilligt. Dort soll Julian Assange zu Vorwürfen sexueller Belästigung vernommen werden.

London. Noch bleicher als sonst und ohne ein Wort für den versprengten Haufen seiner Anhänger vor dem Londoner High Court übrig zu haben, betrat WikiLeaks-Gründer Julian Assange gestern, Mittwoch, den Gerichtssaal und steckte dort eine weitere Niederlage ein: Die beiden Berufungsrichter wiesen seinen Einspruch gegen Auslieferung nach Schweden, wo er wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung befragt werden soll, in allen Punkten ab.

Schon im Februar hatte Assange, der vor Gericht in blauem Anzug und wirrem weißen Haar erschien, seinen Einspruch in erster Instanz verloren. Seitdem steht er in Großbritannien quasi unter Hausarrest, lebt zwar bequem im Zehn-Zimmer-Landsitz eines zahlungskräftigen Freundes außerhalb von London, trägt aber eine elektronische Fußfessel und muss jeden Abend bei der örtlichen Polizeiwache vorsprechen.

Im Berufungsverfahren hatten Assanges Anwälte erfolglos argumentiert, dass der Europäische Haftbefehl in seinem Fall unangemessen sei, weil der australische Hacker derzeit nicht angeklagt sei, sondern nur befragt werden soll. Außerdem seien die Aussagen der beiden Schwedinnen, mit denen der einst gefeierte Held der Internet-Enthüllungsgemeinde im vergangenen Jahr jeweils eine Nacht verbrachte, und die ihn anschließend anzeigten, unfair und falsch. Sein Verhalten gegenüber den beiden Frauen sei nach britischem Recht nicht strafbar.

Assange glaubt an Verschwörung

Doch die Richter des High Court befanden, dass sowohl der Haftbefehl als auch die anschließenden Verfahren „angemessen“ gewesen seien: „Wäre das in England oder Wales passiert, kann es keinen Zweifel geben, dass Herr Assange auch hier angeklagt worden wäre“, heißt es in dem Urteil. In einem ungewohnt kurzen Statement nach der Urteilsverkündung erklärte ein sichtlich mitgenommener Assange, er sei „in keinem Land eines Verbrechens angeklagt“, doch die Regeln des Europäischen Haftbefehls seien so restriktiv, dass die britischen Gerichte sich nicht einmal mit den eigentlichen Vorwürfen beschäftigen dürften.

Im Übrigen empfahl Assange, der sich selbst für das unschuldige Opfer einer politisch motivierten Verschwörung hält, nicht den Medienberichten über das Verfahren zu trauen: „Zweifellos wird es viele Versuche geben, das Verfahren von heute zu verdrehen. Bitte besucht swedenversusassange.com, wenn ihr wissen wollt, was in diesem Fall wirklich Sache ist.“

Assange und seine Anwälte haben nun 14 Tage Zeit, um erneut Einspruch gegen die Entscheidung einzulegen, diesmal vor dem Supreme Court. Doch das oberste britische Gericht darf die Klage nur annehmen, wenn die Richter in dem Fall eine über die Person Assange hinausgehende größere rechtliche Bedeutung sehen.

WikiLeaks-Gründer bankrott

Der Weg in die nächste Instanz scheint auch aus finanziellen Gründen fraglich: Schon am Mittwoch im Gerichtssaal deuteten seine Anwälte an, dass Assange die Verfahrenskosten von 19.000 Pfund nicht bezahlen kann – seine bisher angehäuften Anwaltskosten sollen sich auf ein Vielfaches dieser Summe belaufen. Bereits in der vergangenen Woche hatte die Enthüllungsplattform „WikiLeaks“ angekündigt, aus Geldmangel die Arbeit einstellen zu müssen (siehe Artikel unten).Nach der Veröffentlichung von 250.000 geheimen US-Botschaftsdepeschen hatten sich viele Finanzinstitute wie PayPal und Visa geweigert, Spenden an die Organisation weiterzuleiten.

Eine weitere potenzielle Einnahmequelle ist ebenfalls bereits versiegt: die Autobiografie, die Assanges Verlag ohne dessen Zustimmung veröffentlicht hat, verkauft sich äußerst schleppend. Den Vorschuss von rund 450.000 Euro haben laut Medienberichten bereits Assanges ehemaligen Anwälte für ihren Beistand im ersten Auslieferungsverfahren kassiert.

Sollte der Supreme Court sich mit dem Fall befassen, dürfte sich die Rechtssache noch bis weit ins nächste Jahr hinziehen. Wenn nicht, dann müsste Assange binnen zehn Tagen nach Schweden ausgeliefert werden. Er hat vor allem Angst, dass das nicht die Endstation ist, sondern er letztlich in einem US-Gefängnis landet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2011)

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