Litauen: „Fall Golowatow ist noch nicht erledigt“

(c) APA (PFARRHOFER Herbert)
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Der Anführer der einstigen Unabhängigkeitsbewegung, Landsbergis, glaubt, dass sich Österreich und Europa in Abhängigkeit von Russland begeben. Medwedjews Zwischenspiel im Kreml hält er für Illusionstheater.

Die Wogen zwischen Österreich und Litauen haben sich geglättet, der litauische Botschafter ist nach Wien zurückgekehrt, eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe zum „Fall Golowatow“ wurde eingerichtet.

Seit der Verhaftung und umgehenden Freilassung des Ex-KGB-Mannes im Juli sind einige Monate vergangen. Für Vytautas Landsbergis, einst Anführer der litauischen Unabhängigkeitsbewegung Sajūdis und lange Zeit Parlamentspräsident, hat sich die Sache „noch lange nicht erledigt“, wie der agile 79-Jährige im Gespräch mit der „Presse“ gestern in Wien sagte. Vor allem nicht, solange Menschen wie Golowatow nicht vor Gericht stünden. Litauen beschuldigt ihn, für die „Blutnacht“ von Vilnius 1991 verantwortlich zu sein, bei der 14 Demonstranten starben.

Landsbergis ist überzeugt: „Der Grund für die schnelle Freilassung Golowatows war der enorme Druck Russlands auf Österreich.“ Und die Argumente, die Wien vorbrachte – keine Gültigkeit des Haftbefehls, schwammige Beweislage? Landsbergis trocken: „Hinterher kann man immer irgendwelche Argumente erfinden.“

Die Affäre rund um Golowatow ist für den nunmehrigen Europaabgeordneten Teil eines größeren Problems: Die europäische Unabhängigkeit, Europas Werte und Moral stünden durch die prorussische „Appeasement-Politik“ auf dem Spiel, ist er überzeugt. „Wenn Europa sich selbst verliert, dann kann es von dritten Mächten manipuliert werden.“

Unkorrekt und stolz darauf

Landsbergis selbst kann man den Vorwurf, nicht konsequent zu seinen Ideen zu stehen, schwerlich machen. Der Politiker hat stets zu seinen konservativen Idealen gestanden, hat in litauischen Wahlkämpfen durchaus offen die antirussische Karte gespielt – was ihm auch Kritik einbrachte.

Auch im EU-Parlament ist er bekannt als Abgeordneter, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt – „und seine Regierung nicht um Erlaubnis fragt“. Man habe ihn viele Male der „politischen Unkorrektheit“ bezichtigt, sagt Landsbergis schmunzelnd. Ein Vorwurf, der ihn nur mäßig getroffen haben dürfte: Das Label trägt er, der auch Musiker und Musikwissenschaftler ist, wie eine Auszeichnung. Was Landsbergis bei der Entwicklung seiner eigenen Stimme geholfen hat, ist – die Musik: „Wenn man in der Musik etwas sagen will, muss man etwas zu sagen haben. Und es muss persönlich sein. Wenn du wie ein anderer spielst, bist du zu gar nichts nütze.“

Gestern stellte er in Wien die Werke des litauischen Komponisten Mikalojus Konstantinas Čiurlionis vor, den er schon in seinen Studienjahren am Konservatorium entdeckte. Und er sprach über die „Zukunft Europas“. Europa soll nach Landsbergis' Willen weiterwachsen. Für die Ukraine wünscht er sich „freundliche Unterstützung“ vonseiten der EU; das EU-Assoziierungsabkommen – dessen Abschluss bis Ende 2011 zuletzt wegen des umstrittenen Gerichtsurteils gegen die Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko ins Wanken geraten ist – sollte in jedem Fall unterzeichnet werden.

Und Russland? Die geplante Jobrochade im Kreml überrascht Landsbergis nicht. „Medwedjew war ein sympathisches Gesicht, das Illusionen im Westen schüren sollte – wie Gorbatschow.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2011)

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