Syrien: „Jeder liebt Präsident Assad“

(c) Michaela Bruckberger
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Mar Gregorios Yohanna Ibrahim, Metropolit der syrisch-orthodoxen Kirche in Aleppo, verteidigt den syrischen Präsidenten auch nach mehr als 3500 Toten. Mehrheit der Christen unterstützt Präsident Assad, sagt er.

Die Presse: Das Regime in Ihrer Heimat, Syrien, hat seit Ausbruch der Proteste mehr als 3500 Menschen getötet. Wie bewerten Sie als religiöser Führer das Gemetzel?

Mar Gregorios Yohanna Ibrahim: Es war zu erwarten, dass die politischen Turbulenzen nach Tunesien, Ägypten, Jemen und Libyen auch Syrien erfassen. Nicht normal ist, dass Menschen in Syrien versuchen, sich gegenseitig zu töten. Abgesehen davon denke ich, dass wir, die Christen, die Moslems, und auch die Regierung bereit sind, Veränderungen für die Gesellschaft zu erreichen: mehr Demokratie, mehr Frieden und freie Parlamentswahlen. Auch die Verfassung sollte verändert werden, weil die jetzige schon sehr alt ist.

Kämpfen Christen auf den Straßen?

Nein, wir kämpfen nicht auf den Straßen mit. Die Mehrheit der Christen unterstützt Präsident Assad und die Forderungen nach Demokratie. In Aleppo gab es immer schon Menschen, die meinten, das Regime sei nicht gut für die Bürger. Sie haben das Recht, das zu sagen. Wir kritisieren auf beiden Seiten jene, die Menschen töten. In Homs wurden Militärs, Offizielle und Bürger getötet. Wir wissen nicht, woher die Waffen kommen, wer hinter den Kämpfern steht und sie unterstützt. Die Gewalt muss von beiden Seiten gestoppt werden. Die große Veränderung heutzutage ist, dass die Forderung nach Demokratie von der Bevölkerung kommt. Wenn es nur eine Partei gibt, kann nicht das ganze Volk repräsentiert sein. Wenn nur eine Partei das Land als ihr Land regiert, dann kann aus der Demokratie nichts werden.

Präsident Assad versucht, an der Macht zu bleiben. Spürt die syrisch-orthodoxe Kirche seinen Druck?

Wir konnten unsere Religion in Syrien immer frei ausüben und können das weiterhin. Druck gibt es keinen. Als Kirche haben wir uns klar für Frieden, Stabilität und Gerechtigkeit ausgesprochen. Wir hätten gerne ein gutes Regime. Wir wollen zu einer guten Gesellschaft beitragen.

Müssen Sie dem Präsidenten Bericht erstatten, wenn Sie nach Syrien zurückkehren?

Das war früher so. Wenn ein religiöser Führer aus dem Ausland zurückkam, musste er der Regierung Bericht erstatten. Seit ungefähr vier Jahren wird nicht mehr nachgefragt. Früher musste ich auch, wenn ich mit ausländischen Botschaftern sprechen wollte, die Regierung fragen. Vor zwei Wochen traf ich den britischen Botschafter, und niemand fragte mehr, was besprochen wurde. Das liegt auch am Internet. Die Regierung muss nicht mehr fragen, sie kann sich dort informieren. Aber was ich sage, schreibt die Regierung nicht vor. Ich kann ganz frei Demokratie, freie Wahlen und eine neue Verfassung für Syrien fordern. Das ist ja auch meine Pflicht als syrischer Bürger.

Können Frieden und Demokratie unter Assad erreicht werden?

Wenn er gewillt ist, diese Reformen anzuführen, ist er der beste Mann dafür, weil er die Erfahrung hat und das Land mehr als zehn Jahre geführt hat. Er ist der Präsident, jeder liebt ihn. Nicht nur die Christen, auch Moslems. Aber das reicht nicht. Wir brauchen eine gute Führung für die Zukunft. Assad ist eine der richtigen Personen, um nötige Veränderungen zu erreichen. Ich denke, manchmal ist Assad gewillt zu sehen, dass Syrien den richtigen Weg der Demokratie gehen sollte. Und Demokratie heißt, dass er offen sein muss. Er kann seine Augen nicht schließen. Er sollte die Realität akzeptieren.

Gibt es auch andere, die Syrien regieren könnten? Etwa Oppositionsführer?

Ja, wieso nicht, Syrien ist offen.

Sind die Aufstände religiös konnotiert?

Es stimmt, dass die religiöse Terminologie sehr verbreitet ist. Früher war das nicht so. Wir fühlen, dass die Sunniten einen ihrer Leute als Führer des Landes sehen wollen. Aber wenn es einen guten gibt, warum nicht?

Wer wird in ein paar Monaten Syriens Präsident sein?

Wenn Präsident Assad entscheidet, dass es für ihn nicht die richtige Zeit ist, um das Land durch die Reformen zu führen, dann gibt es gute Kandidaten für die Nachfolge. Ich kann aber keinen einzelnen nennen, Syrien hat immerhin 23 Millionen Einwohner.

Was halten Sie von Forderungen nach einer internationalen Intervention?

Die Mehrheit der Syrer ist gegen jede Form der Intervention. Syrien ist bereit, das Problem selbst zu lösen. Eine Intervention würde neue Probleme bringen und der syrischen Identität schaden. Die Arabische Liga sollte neutral sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2011)

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