Das Instrument Schuldenbremse: Wer hat's erfunden? Die Schweizer

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Symbolbild(c) REUTERS (DENIS BALIBOUSE)
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Die Schweiz ist bei der Schuldenbremse Vorreiterin. Das Modell ist noch strenger als das deutsche. Der amerikanische Notenbankchef, Ben Bernanke, hat die schweizerische Lösung sogar seinem eigenen Land empfohlen.

Bern. Die Schweiz ist bei der Schuldenbremse Vorreiterin. Auslöser waren die Fehlbeträge, die von 1990 bis 2005 die Schulden Berns um 230 Prozent in die Höhe schießen ließen. Das Volk nahm deshalb 2001 die Schuldenbremse in einem Referendum mit 85 Prozent der Stimmen an. Erstmals wurde die Regel im Budget des Jahres 2003 angewendet. Anders als in Österreich oder Deutschland gilt sie aber nur für den Bund, während die finanziell weitgehend autonomen Kantone davon nicht betroffen sind.

Die in der Verfassung verankerte Regel schreibt vor, dass Defizite über den Konjunkturzyklus hinweg verschwinden müssen. Eine Neuverschuldung wird damit ausgeschlossen, und wenn die Wirtschaft wächst, sinkt die Verschuldungsquote – eine beneidenswerte Entwicklung.

Dies ist nach anfänglichen Problemen auch tatsächlich geschehen: Betrug die gesamte Staatsverschuldung 2005 noch 53 Prozent, fiel sie im letzten Jahr auf 40 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Schuldenlast des Bundes alleine sank im selben Zeitraum von 130 Milliarden Franken auf unter 110 Milliarden Franken.

Bern hat nicht nur die Defizite bereinigt, sondern auch Schulden abgebaut, und zwar so erfolgreich, dass der amerikanische Notenbankchef, Ben Bernanke, die schweizerische Lösung zum Vorbild für die USA anpries. Deutschland führte eine ähnliche, aber weit weniger strenge Schuldenschranke ein, die Österreich jetzt als Vorbild diente. Anders als in der Schweiz, wo Fehlbeträge vollständig abzubauen sind, ist in den beiden Nachbarländern ein strukturelles Defizit von maximal 0,35Prozent der Wirtschaftsleistung erlaubt. In der Schweizer Variante steht die Null.

Fehlbeträge in Rezession gestattet

Wenn die Schweizer Politiker Ausgaben budgetieren, müssen sie sich nach den erwarteten Einnahmen richten. Fehlbeträge sind in einer Rezession gestattet, müssen jedoch in Phasen der Hochkonjunktur wieder kompensiert werden. Die Politik ist daher dann gezwungen, Überschüsse zu erwirtschaften. Das verbessert die Haushaltsdisziplin enorm. Als Beispiel herhalten kann die derzeitige Diskussion, ob die Luftwaffe neue und vor allem milliardenschwere Kampfjets erhalten soll. Gemäß der Schuldenbremse müssen die Zusatzaufwendungen aber in anderen Bereichen, zum Beispiel bei den Sozialausgaben, durch Einsparungen ausgeglichen werden. Und dagegen regt sich Widerstand. So haben die Grünen bereits angekündigt, im Fall eines Kaufentscheids die Forderung nach einem Referendum zu erheben. Kommt dieses zustande, hätte das Volk das letzte Wort.

Dieses Beispiel verdeutlicht, weshalb parlamentarische Demokratien wie Deutschland und Österreich keine allzu hochfliegenden Erwartungen an die Schuldenschranke stellen sollten. Das Schweizer Stimmvolk erhält immer wieder Gelegenheit, sich mit Initiativen und Referenden zu Steuer- und Finanzfragen zu äußern. Die direkte Demokratie verstärkt oder schwächt die Wirkung der Schuldenbremse.

Steuern weiter Ländersache

Hinzu kommt der Föderalismus. Abgesehen von gewissen Ausgleichszahlungen müssen die Kantone ihre Ausgaben mit eigenen Steuern decken, während Bund und Bundesländer in Deutschland faktisch eine Haftungsgemeinschaft bilden. Gerät ein Bundesland in Not, steht ihm Hilfe aus Berlin zu.

Jede Verfassungsbestimmung kann geändert, aufgeweicht oder durch Schlupflöcher ad absurdum geführt werden. So musste man die schweizerische Schuldenbremse mit einer Ergänzungsregel verstärken, weil außerordentliche Ausgaben anfänglich nicht einbezogen wurden.

Sehr restriktive Auslegung

Außerdem stellt sich die Frage, ob wirklich immer alle Budgetposten, also auch die soziale Wohlfahrt, von einer Ausgabenregel erfasst werden. Dass in der Schweiz mit der Zeit nicht nur die Defizite verschwanden, sondern auch die Schulden zurückgingen, hat mit der besonders restriktiven Auslegung der Bremse zu tun. Wenn budgetierte Kredite nicht ganz ausgeschöpft werden, darf die „Einsparung“ nicht in die nächsten Jahre übertragen und dann ausgegeben werden, sondern ist für die Schuldentilgung einzusetzen.

Der Bundesrat prüft derzeit, ob er diese Regelung lockern soll. Die Schuldenbremse ist also auch in der Schweiz weder in Stein gemeißelt noch ein Allheilmittel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2011)

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