Verhaftet in der Wüste: Saif Gaddafis Flucht zu Ende

Verhaftet Wueste Saif Gaddafis
Verhaftet Wueste Saif Gaddafis(c) REUTERS (ISMAIL ZITOUNI)
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Am Samstag wurde der Diktatorensohn in der Stadt Obari 800 Kilometer südlich von Tripolis gefasst. Die Übergangsregierung verspricht, ihm einen fairen Prozess zu machen – in Libyen.

Unmittelbar nach seiner Festnahme liefen die Bilder bereits auf dem Kanal „Libya Free TV": Ruhig sitzt Saif al-Islam („Schwert des Islam") in einem Gefängnis der Stadt Zintan auf einer Couch in Decken gehüllt, seine Finger an der rechten Hand sind in Bandagen eingewickelt. Mit Hupkonzerten und Freudenschüssen wurde in ganz Libyen die Nachricht von der Ergreifung des Gaddafi-Sohnes gefeiert.

Eine monatelange Flucht ist zu Ende gegangen - in Libyen, und nicht irgendwo anders, wo er vermutet wurde: in Algerien, Niger, Mali oder in Simbabwe. Der Gaddafi-Sohn wurde am gestrigen Samstag in Obari im Süden Libyens geschnappt, rund 800 Kilometer südlich der Hauptstadt Tripolis. Der 39-Jährige war Milizionären mitten in der Nacht in die Fänge gegangen.

Zu seiner Ergreifung habe ein Hinweis auf einen hochrangigen Flüchtling geführt, sagte Ahmed Ammar, einer Kämpfer, die Saif al-Islam festnahmen. In der Wüste rund 70 Kilometer von der kleinen Ölstadt Obari entfernt hatten sie versucht, zwei Autos zu stoppen. Nach Warnschüssen in die Luft hätten die die Fahrzeuge angehalten. Ein Insasse habe sich als „Abdelsalam" ausgegeben. Das heißt „Friedensdiener". Doch der Gaddafi-Sohn wurde schnell erkannt. Er ließ sich kampflos festnehmen. Saif al-Islam hatte zuvor stets angekündigt, bis zu seinem Tode zu kämpfen. Er willigte ein, nach Sintan gebracht zu werden. Die Stadt in den Bergen südlich von Tripolis war eine Hochburg der Rebellen in ihrem Kampf gegen Muammar Gaddafi.

Saif al-Islam dürfte sich, so wurde am Samstag gemutmaßt, in der Wüste zwischen Obari und der Stadt Bani Walid versteckt haben, wo er zuletzt gesehen worden war. Nach Einschätzung der Aufständischen hatte er vorgehabt, die Grenze zum Niger zu überqueren. In den Autos wurden angeblich Gewehre und ein paar Tausend Dollar gefunden.

Angst vor Ermordung. Der Diktatoren-Sohn habe um sein Leben gebangt, berichtet einer der Männer, die ihn festnahmen. „Er dachte, dass wir ihn umbringen." Der 39-Jährige wurde später in die Stadt Sintan geflogen. An Bord des Flugzeugs sagte er auf die Frage einer Reuters-Journalistin, ob es im gut gehe: „Ja." Die Verletzungen an einer Hand rührten von einem Nato-Luftangriff vor einem Monat, berichtete er. Etwa zu dieser Zeit war sein Vater gefasst und kurz darauf getötet worden. Bei der Ankunft in Sintan versuchten einige Menschen, das Flugzeug zu stürmen. Sie wurden aber von den Kräften der Übergangsregierung zurückgehalten.

Menschenmengen umringten das Flugzeug, so dass Gaddafi vorerst noch in der Maschine blieb. Er wirkte relativ ungezwungen und trug keine Handschellen. Sein bärtiges Gesicht war weitgehend von einem Tuch verhüllt, eine randlose Brille war zu sehen. Die Kämpfer, die Saif al-Islam festgenommen haben, wollen ihn vorerst in ihrer Stadt festhalten - so lange, bis er an eine Regierung übergeben werden könne. Mit der Bildung einer neuen libyschen Regierung wird in den kommenden Tagen gerechnet.

Saif al-Islam war der zweitälteste von sieben Söhnen Muammar Gaddafis und hätte das politische Erbe seines Vaters antreten sollen. Die letzte Spur des 39-jährigen Gaddafi-Sprösslings hatte es am 17. Oktober in Bani Walid gegeben. Als die Rebellen die Stadt eroberten, flüchtete er in einem Konvoi Richtung Südosten. In seinem gepanzerten Toyota überlebte er einen Raketenangriff der Nato.

Louis Moreno-Ocampo, der Chefankläger des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag (IStGH), vermutete den Flüchtigen außerhalb Libyens. Saif al-Islam ist vom ICC zur Fahndung ausgeschrieben. Ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Er soll für die Anheuerung von afrikanischen Söldnern und die Erschießung von Demonstranten Mitte Februar in Tripolis und Bengasi verantwortlich sein.

Keine Auslieferung an Den Haag. Moreno-Ocampo erklärte am Samstag, er werde in Kürze nach Libyen reisen. Dann werde er die nächsten Schritte klären. Wichtig sei vor allem, dass der Gaddafi-Sohn vor Gericht gestellt werde. „Wo und wie, darüber werden wir reden." Die Europäische Union drängte die libysche Übergangsregierung dazu, für einen Prozess in voller Kooperation mit dem IStGH zu sorgen. Die Nato zeigte sich zuversichtlich, dass Libyen zusammen mit dem IStGH für ein gerechtes Verfahren sorgen kann.

Libyens Übergangs-Ministerpräsident Abdul Raheem al-Keeb hat Samstagabend die Ergreifung von Saif al-Islam offiziell bei einer Pressekonferenz bestätigt. Gleichzeitig erteilte Keeb den Forderungen von Menschenrechtlern nach Auslieferung des Gaddafi-Sohns an den Internationalen Strafgerichtshof eine Absage. „Wir respektieren die internationale Rechtsprechung, aber es ist das Recht unseres Volkes, ihn hier vor Gericht zu stellen." Saif al-Islam werde nach der Lehre des Islams über fairen Umgang mit Kriegsverbrechern behandelt. Keeb sagte aber zugleich, die libysche Justiz werde gemeinsam mit dem IStGH prüfen, wo der Gesuchte am besten vor Gericht gestellt werden solle.

Bis Anfang November stand der IStGH mit dem Gaddafi-Sohn in indirekten Verhandlungen. Angeblich wollte Saif sich diesem stellen. Wohl aus Angst, so wie sein Vater oder sein Bruder Mutassim zu enden. Beide waren in den Händen der Rebellen erschossen und ihre Leichen in Fleischkühlcontainern ausgestellt worden. Mutassim ist der dritte Bruder, den Saif im Laufe des acht Monate dauernden Kriegs verlor. Saif al-Arab soll bei einem Nato-Bombenangriff in Tripolis gestorben sein, Khamis im Kampf gegen die Rebellen. Die restlichen Brüder sind im Ausland: Saadi, der als Fußballspieler in Italien Schlagzeilen machte, ist im Niger. Mohammed und Hannibal sind bei Mutter Safia und Schwester Aisha in Algerien.

Bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs im Februar galt Saif als Reformer, der die Diktatur seines Vaters Schritt für Schritt in eine Demokratie umwandeln wollte. Der 39-Jährige, der an der London School of Economics seinen Doktortitel machte, initiierte die Wiederannäherung Libyens an den Westen: Die Aufgabe des Atomprogramms, die Entschädigungszahlungen für die Opfer des Lockerbie-Attentats oder auch die Freilassung der bulgarischen Krankenschwestern, die der Ansteckung von libyschen Kindern mit dem HI-Virus angeklagt waren. Der Gaddafi-Sohn nannte den ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair seinen Freund, zur Party zu Ehren seines 37. Geburtstags in Montenegro kamen so Gäste wie Fürst Albert von Monaco.

Studium in Wien. Der Gaddafi-Sohn hatte auch ein besonderes Naheverhältnis zu Österreich. Im Mai 1998 begann er in Wien zu studieren. Dabei war Wien als Studienort nur Saifs zweite Wahl: Der Gaddafi-Spross hatte ursprünglich in der Schweiz studieren wollen. Doch die Schweiz zog sein Visum zurück. So landete er an der privaten Imadec-Universität in Wien-Hietzing für ein Wirtschaftsstudium.

In Wien angekommen, knüpfte er Kontakte zu Geschäftsleuten und Politikern - allen voran zu Jörg Haider. Haiders damaliger Privatsekretär Gerald Mikscha, der ebenfalls an der Privatuniversität studierte, soll die beiden bekannt gemacht haben. Im Mai 1999 reiste Haider erstmals nach Libyen. Nach der Regierungsbeteiligung der FPÖ nach den Wahlen im Herbst 1999 wurde der Plan der verstärkten wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Libyen und Österreich weiter forciert. Mehrere Delegationsbesuche von österreichischer Seite sollten folgen. Minister der Bundesregierung wie Vizekanzler Hubert Gorbach reisten ebenfalls nach Libyen. 2002 wurde die österreichisch-libysche Gesellschaft (ÖLG) gegründet. Ihr Präsident: Jörg Haider, nach seinem Tod übernahm den Posten seine Witwe Claudia. Auch nach dem Abschluss seines Studiums mit einem MBA hielt Saif Österreich die Treue: Die weiße Villa hinter hohen Mauern, die die Gaddafis in Wien-Grinzing unterhalb des Kahlenberges gemietet hatten, blieb weiter in Verwendung - primär für Shoppingtrips des Familienclans und für Kurzurlaube.

25.6.1972
in Tripolis geboren. Er galt lange als möglicher Nachfolger seines Vaters, studierte in Wien und London und sprach häufig über nötige Reformen im Land. Zu Beginn der Proteste versprach er Veränderungen, schlug dann aber einen zunehmend unversöhnlichen Ton an.

19.11.2011
Saif al-Islam wurde nach monatelanger Flucht in Obari im Süden Libyens festgenommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2011)

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