Die gnadenlose Rache der libyschen Rebellen

Tausende dunkelhäutige Migranten leben in Libyen nach wie vor in Angst. Ihnen wird vorgeworfen, die Söldner Gaddafis zu sein.

Sie waren aus anderen Teilen Afrikas nach Libyen gekommen, um Arbeit zu finden. Doch dann brach der Aufstand gegen Diktator Muammar al-Gaddafi aus, und sie gerieten zwischen alle Fronten. Unter dem Verdacht, sie seien ausländische Söldner, wurden Zuwanderer aus Ländern wie Nigeria, Ghana und Niger von Rebellen gejagt, verhaftet, misshandelt, in vielen Fällen auch getötet.

Auch Monate nach Gaddafis Sturz leben in Libyen tausende dunkelhäutige Migranten in Angst. „Ihre Lage ist zwar nicht mehr so schlimm wie im August, aber sie ist nach wie vor weit davon entfernt, akzeptabel zu sein“, sagt Fred Abrahams, Libyen-Koordinator der US-Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ zur „Presse am Sonntag“. Im August war Gaddafi von bewaffneten Widerstandsgruppen aus der Hauptstadt Tripolis vertrieben worden. Dabei kam es auch zu Racheakten an tatsächlichen und mutmaßlichen Anhängern des Regimes. Menschen mit dunkler Hautfarbe wurden massenhaft als „ausländische Gaddafi-Kämpfer“ interniert.

„Die meisten afrikanischen Einwanderer, die geblieben sind, leben in größeren Gruppen zusammen, weil sie sich so sicherer fühlen“, berichtet Fred Abrahams. Daran werde sich solange nichts ändern, bis der libysche Übergangsrat NTC für Recht und Ordnung sorge, kritisiert er. Am Sturz Gaddafis haben sich verschiedenste Gruppen von Bewaffneten beteiligt. Sie agieren relativ autonom, der Übergangsrat hat kaum Kontrolle über sie.


Für ein Leben in Freiheit. Auch Abdel machte bei dem Aufstand mit, um endlich ein Leben in Freiheit führen zu können. Der Arzt schloss sich einer Sanitätseinheit der Rebellen aus Misrata an. Gaddafi hatte versucht, die aufständische Stadt auszuhungern. „Zu Beginn unserer Revolution kämpften in Gaddafis Einheiten vor allem Libyer. Später setzte er Ausländer ein, die für Geld töteten“, erzählt Abdel. Die meisten von Gaddafis Scharfschützen seien aus Europa gekommen, viele andere seien Söldner aus Afrika, sagt Abdel. „Bei einigen Toten und Verwundeten fanden wir Ausweise aus dem Niger.“

Wie viele ausländische Kämpfer das Regime in anderen afrikanischen Staaten rekrutierte, ist unklar. Oft hatte man auch einfach Flüchtlingen, die nach Europa wollten, Waffen in die Hände gedrückt, und sie gezwungen, gegen die Aufständischen vorzugehen. Und zuletzt wurden viele dunkelhäutige Libyer aus dem Süden des Landes in Gaddafis Armee eingezogen.

All das ist offenbar Grund genug, kollektiv gegen Schwarze vorzugehen. „Für mich ist jeder verdächtig, der eine dunklere Haut hat“, sagt auch Abdel. Den Einwand, dass der überwiegende Teil der Menschen aus südlicheren afrikanischen Ländern einfach Gastarbeiter waren, die oft schon seit Jahrzehnten in Libyen lebten, will er nicht gelten lassen. „Sie waren Freunde Gaddafis. Offiziell waren sie hier, um zu arbeiten. Aber Gaddafi hat sie geholt, um sie gegen uns einzusetzen.“

Abrahams geht davon aus, dass die meisten der verhafteten und misshandelten Afrikaner zu Unrecht beschuldigt wurden, Gaddafi-Söldner zu sein. Für ihn spielt bei den Übergriffen auch Rassismus eine Rolle. Während er die eigene Bevölkerung brutal unterdrückte, machte sich Diktator Gaddafi außerhalb Libyens mit panafrikanischen Ideen beliebt und ließ sich als „König aller Könige“ Afrikas feiern. Dass er Regierungen anderer afrikanischer Staaten mit Geld unterstützte und zigtausende Gastarbeiter nach Libyen einlud, stieß bei einigen Libyern auf Unmut.

Wie viele tatsächliche und angebliche Gaddafi-Kämpfer derzeit in Libyen interniert sind, kann Abrahams nicht sagen. „Es gibt unzählige bewaffnete Gruppen und viele von ihnen haben ihre eigenen Gefängnisse.“ Mitarbeiter von Human Rights Watch inspizierten einige davon. „In einem Teil der Haftanstalten waren die Bedingungen in Ordnung, in anderen sehr schlecht“, erzählt Abrahams. Die Vertreter des Übergangsrates NTC hätten versprochen, die Missstände zu beseitigen.

Auch die Menschenrechtsaktivistin Hana el-Gallal sieht in der Vielzahl der Rebellengruppen ein Problem. Sie stand im Kampf gegen Gaddafi an vorderster Front. Jetzt will sie dafür sorgen, dass im neuen Libyen die Menschenrechte eingehalten werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2011)

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