Ein Präsident, der "von allen guten Geistern verlassen" ist

(c) AP (Markus Schreiber)
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Um den deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff wird es langsam sehr einsam: Die Medien trommeln gegen ihn, viele mit deftigen Worten, Politiker rücken von ihm ab - und jetzt tauchen neue Vorwürfe auf.

Berlin. Das Schloss der deutschen Bundespräsidenten heißt Bellevue, zur schönen Aussicht. Gar nicht schön sind die Aussichten für Amtsinhaber Christian Wulff. Zu Wochenbeginn wurde bekannt, dass er „Bild“-Redakteuren per Anruf auf die Mobilbox des Chefredakteurs mit Strafanzeigen gedroht hat, um das Erscheinen eines Bericht über Ungereimtheiten bei der Finanzierung seines Hauskaufs zu verhindern. Am Dienstag zeigte sich die schreibende Zunft geschlossen solidarisch mit den Kollegen vom großen Boulevardblatt. Sie haben das Staatsoberhaupt abgeschrieben, viele mit deftigen Worten.

Wulff sei „von allen guten Geistern verlassen“, befand die „Frankfurter Allgemeine“. Die „Süddeutsche“ zeigt sich bestürzt über seine „Naivität und Dreistigkeit“: „Dieses Amt ist für Wulff zu groß“. Stefan Aust, der frühere „Spiegel“-Chefredakteur, ist fassungslos“ über das „politische Selbstmordkommando“ des Präsidenten: „So etwa Irres ist mir noch nie vorgekommen.“ Dumm, unentschuldbar, unterste Schublade – so rau rauscht es durch den Blätterwald. Ein medialer Super-GAU.

Auch Springer-Chef bedrängt

Zu den Richtsprüchen der Kommentatoren kommen neue Details. „Bild“ berichtete, man habe Wulff vor der Veröffentlichung des brisanten Artikels um eine Stellungnahme gebeten, die dieser auch lieferte, aber kurz vor Redaktionsschluss zurückzog und stattdessen dem Chefredakteur einheizte. Nicht nur ihm: Auch der Leiter des Springer-Verlags, Mathias Döpfner, wurde bedrängt, den Abdruck zu verhindern. Und selbst die 69-jährige Verlegerwitwe Friede Springer erhielt einen Anruf. Eine einmalige Kurzschlusshandlung? „Die Welt“ berichtet, es habe bei ihr schon im Juni einen Interventionsversuch von ganz oben gegeben.

Zu all dem schweigt der Präsident. Von Bellevue kommt nur ein karges Statement einer Sprecherin: Für ihren Chef sei die Pressefreiheit ein hohes Gut, er habe ohnehin hunderte Medienanfragen beantwortet, und über „Vieraugengespräche und Telefonate“ gebe er grundsätzlich keine Auskunft. Diese Nichtklärung sorgt für immer mehr Irritation unter Politikerkollegen, auch aus den eigenen Reihen. Rufe nach Rücktritt kommen vorerst nur von hinteren Bänken. Aber eine Erklärung noch in dieser Woche wird allseits verlangt.

Noch schweigt auch Angela Merkel. Die Reaktion der Kanzlerin dürfte über Wulffs Zukunft entscheiden. Sie war es ja, die den Ministerpräsidenten von Niedersachsen 2010 ins höchste Amt gehievt hat, gegen den Mehrheitswillen der Deutschen, die lieber die Wiedervereinigungslegende Joachim Gauck in Bellevue gesehen hätten. Merkel aber pries Wulff als „wunderbaren Kandidaten“, der „einem Wertesystem verhaftet“ sei, „das Orientierung gibt“. Das bringt heute auch sie in Erklärungsnot.

Schon damals rückte „Bild“, immer mit dem Ohr am Volke, leicht von Wulff ab, den sie als Landeschef in Hannover großzügig mit glamourösen Fotostorys über sein Familienleben bedacht hatte. Auch hier gilt das Prinzip des Boulevard-Journalismus, das Springer-Chef Döpfner einst verraten hat: „Wer mit der „Bild“-Zeitung im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr nach unten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2012)

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