Irak: Mordwelle an "Emo"-Jugendlichen

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Irak Mordwelle bdquoEmoldquoJugendlichen(c) AP (Alaa al-Marjani)
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Radikale Schiiten sollen in den letzten drei Wochen bis zu 100 Anhänger der westlichen Jugendkultur getötet haben. Anlass dafür war ein "Jagdaufruf" des Innenministeriums.

Bagdad/Wg/Ag. Im Irak sollen Medienberichten zufolge binnen drei Wochen Dutzende Jugendliche gesteinigt oder totgeprügelt worden sein, weil sie Anhänger der aus dem Westen importierten Jugendkulturbewegung „Emo“ sind. Die Täter seien Mitglieder ultrareligiöser schiitischer Schlägertrupps namens „Brigaden des Zorns“.

Ärzte und Menschenrechtsaktivisten bestätigten am Sonntag, dass die Leichen von mindestens 14 Emos in zwei Spitäler Bagdads gebracht worden seien, alle wiesen Spuren brutaler Gewalt auf. Sie hatten Wunden, wie sie durch Steine hervorgerufen werden, und Brüche. Hana al-Bayata, Mitarbeiterin der Menschenrechts-NGO „Brussels Tribunal“, deutete gar eine Opferzahl von 90 bis 100 an.

Die Emo-Kultur leitet sich vom Mitte der 1980er in den USA kreierten Musikstil „Emotional Hardcore“ ab, den Bands wie „Fugazi“ und „My Chemical Romance“ vertreten; in Mitteleuropa wurde die Emo-Szene Ende der 1990er sichtbar, ihre Musik und Lebensart kreist um düstere Gefühle wie Trauer und Verlust, aber auch schmachtende Liebe. Emos mögen dunkle Kleider, die sie durch punkige Accessoires wie Nietengürtel aufpeppen, enge Hosen und gegelte Strubbelfrisuren, oft mit Scheiteln. Im Grunde sind sie eine coolere Neuauflage der speziell in den 1980ern blühenden Gothic-Kultur („Gruftis“) mit Bands wie „The Cure“, „Fields of the Nephilim“ und „Das Ich“; speziell männliche Emos sind oft Zielscheibe des Spotts, da sie als „Weicheier“ gelten.

Auslöser der Emo-Verfolgung war ein Erlass des Innenministeriums, der Emos „Satanisten“ nennt, die Sittenpolizei solle „das Phänomen beseitigen“. Beamte gingen in Schulen, um „Schuldige“ zu suchen, es kursierten Listen von Emos. Darauf begannen Schiiten, Jagd auf „auffällige“ Jugendliche zu machen, in Flugblättern wurden Burschen und Mädchen gewarnt, binnen vier Tagen ihre „schmutzigen Gewohnheiten“ aufzugeben, sonst ereile sie „die Strafe Gottes durch die Hand der Mudjaheddin“.

„Plage für die Gesellschaft“

Iraks Behörden bestreiten die Mordserie. Allerdings haben schiitische Geistliche die Übergriffe verurteilt, etwa Großayatollah Ali al-Sistani. Ein Sprecher des radikalen Schiitenführers Moktada al-Sadr nannte Emos eine „Plage für die Gesellschaft“ – das Problem müsse aber auf legale Art gelöst werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2012)

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