Nach dem Rücktritt von Parteichef Umberto Bossi herrscht Orientierungslosigkeit. Bossi, der die Partei seit 23 Jahren geführt hatte, hat eingesehen, dass der politische Schaden zu groß werden würde.
Rom. Am Ende ging alles ganz schnell. Zwei Tage lang hat Umberto Bossi versucht, das Unausweichliche abzuwenden, den gigantischen Korruptionsskandal, der seine Partei in den Grundfesten erschüttert, kleinzureden und sich als Opfer einer Kampagne zu stilisieren. Am Donnerstag erklärte der 70-Jährige, der von den Folgen eines Schlaganfalls seit Langem schwer gezeichnet ist, im Kreise seiner engsten Vertrauten seinen Rücktritt vom Amt des Parteichefs. Teilnehmer berichteten anschließend, dass in der Parteizentrale in Mailand Tränen geflossen seien. „Ich trete im Interesse der Partei zurück“, sagte Bossi vor der erschütterten Parteispitze.
Bossi, der die Partei seit 23 Jahren geführt hatte, hat eingesehen, dass der politische Schaden zu groß werden würde. Seine Anhänger haben eine Ikone verloren, und viele halten alles für ein Komplott von „Verrätern“. Es war Bossi, der die Partei groß gemacht hat, er baute sie als Alternative zu den zutiefst korrupten alten Parteien der Nachkriegszeit auf, er verstand es, die Lega als Protestpartei zu inszenieren, die zugleich immer wieder in Rom auf der Regierungsbank saß.
Ihr Feldzug gegen „Roma ladrona“, das räuberische Rom, wurde einer der zentralen Bestandteile ihrer Ideologie, und in der Wahl der Mittel waren die teilweise tief rassistischen Rechtspopulisten aus dem Norden nie zimperlich. Die Lega wurde so stark, dass sie die Rolle des Königsmachers von Silvio Berlusconi spielen konnte.
Längst tiefe Risse in der Partei
Doch das Bild der makellosen Protestpartei hat längst tiefe Risse bekommen, seit Monaten werden immer wieder unappetitliche Einzelheiten über hohe Funktionäre bekannt, die sich hemmungslos bereichert hatten. Am Dienstag dieser Woche setzten drei Staatsanwaltschaften ein politisches Erdbeben in Gang, das Bossi schließlich sein Amt kostete. Steuerfahnder und Polizei rückten in der Parteizentrale sowie in mehreren Privatwohnungen an, um kistenweise Material zu beschlagnahmen. Die Justiz hatte ein Ermittlungsverfahren gegen den Schatzmeister der Lega, Francesco Belsito, eingeleitet, und die Vorwürfe sind geharnischt: Betrug, Veruntreuung von Millionenbeträgen, die aus der staatlichen Parteienfinanzierung geflossen waren, Geldwäsche und einiges mehr – und er soll auch die Familie Bossi aus der Parteikasse alimentiert haben.
Zwar bestreiten sowohl Umberto Bossi als auch sein Sohn Renzo, den er gern zum Nachfolger aufbauen wollte, alle Anschuldigungen. Noch wird gegen sie nicht ermittelt, der politische Schaden aber ist immens. Dass Bossi nun, unter der Wucht des Skandals, zurücktreten musste, hat eine unausweichliche Entwicklung lediglich beschleunigt.
Bossi war ein Produkt der Ära Berlusconi, und mit dessen unrühmlichem Abgang im vergangenen November ist eine Epoche zu Ende gegangen. Die politischen Karrieren der beiden Männer waren eng aneinandergeschmiedet, sie hassten einander so sehr, wie sie sich brauchten. Auch Bossi, der Chef einer „Protestpartei“, erlag der süßen Verführung der Macht. Mit seinem Rücktritt ist die Zeit der beiden alten Männer endgültig vorbei, das Mitte-rechts-Lager, das Italien so lange regieren konnte, ohnehin bereits zerfallen.
Auch Bossi hinterlässt einen politischen Trümmerhaufen: Eine Partei, die, ganz und gar auf seine Person fixiert, nun führungs- und orientierungslos dasteht. Erst im Herbst soll ein Nachfolger gekürt werden, und es steht außer Frage, dass er Roberto Maroni heißen wird. Der frühere Innenminister hatte Bossi vergebens gedrängt, das Bündnis mit Berlusconi aufzukündigen.
Großes Aufräumen steht bevor
Schockartig muss die Basis nun erkennen, dass die Lega um keinen Deut besser ist als andere italienische Parteien, die bis heute wegen Korruptionsfällen für Schlagzeilen sorgen. Nun steht ihr das große Aufräumen bevor, und das wenige Woche vor wichtigen Kommunalwahlen Anfang Mai. In den Hochburgen im Norden wollte sie zur stärksten Partei werden, nun muss sie mit massiven Stimmenverlusten rechnen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2012)