Piratenparteien: Digital chatten - analog feiern

Piratenparteien Digital chatten analog
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Zwei Tage wollten Piratenparteien aus mehr als 20 Ländern in Prag über die digitale Zukunft diskutieren. Dabei wurde deutlich, wie schwer man sich noch damit tut, eine Partei sein zu müssen.

Wäre da nicht am Eingang zur Bierstube „U peronu“ die kleine Fahne mit dem Logo der Piratenpartei gewesen, man könnte glauben, sich im Lokal geirrt zu haben: Weit und breit keine in ihre Laptops vertieften Nerds an den Tischen, und auch jene, die in dem überfüllten Raum keinen Sitzplatz ergattert haben, halten statt einem iPad ein Bier (häufiger) oder ein Cola (gelegentlich) in Händen. Piraten sind also auch nur Menschen. Die Szenerie wirkte wie ein Studentenfest höherer Semester, nur dass dort der Frauenanteil nicht so eklatant niedrig wäre.

Die tschechische Piratenpartei hatte für das Wochenende zum internationalen „Freibeuter-Kongress“ nach Prag geladen, Delegationen aus 24 Ländern schipperten in Richtung Moldau. Gesprächsstoff für den Kennenlernabend und die zwei Konferenztage gab es genug: die Bildung einer gesamteuropäischen Partei etwa, oder die jüngsten Erfolge in Deutschland. Als die Piraten mit ihren Kernthemen Internetfreiheit und Transparenz bei der Bundestagswahl 2009 zwei Prozent holten, ignorierten die Altparteien sie noch als vermeintlich vorübergehendes Phänomen. Das geht nun nicht mehr: Bei der Berliner Landtagswahl im September waren es schon knapp neun Prozent.

Sonderfall liberale junge Hauptstadt, so die verzweifelte Erklärung der etablierten Parteien. Seit Ende März ist auch das falsifiziert: Mit 7,4 Prozent zogen die Piraten im Saarland in den Landtag ein. Bundesweit sind sie in Umfragen längst zweistellig, jüngst überholten sie sogar die Grünen. Eben wurde das 25.000 Mitglied begrüßt (in Österreich sind es derzeit etwa 1000).

Wobei Mitgliederzahlen wenig aussagen, wie Michael einräumt, ein Schweizer Pirat (ohne Meerzugang) der ersten Stunde: „Man tritt bei, aber das verpflichtet zu nichts.“ Nur etwa ein Zehntel sei tatsächlich aktiv. Dieser Befund ist für das Selbstverständnis der Piraten eigentlich alarmierend: „Was die Partei so einzigartig macht, ist, dass sich jeder aktiv einbringen kann“, formuliert Gastgeber Ivan Bartoš, Chef des tschechischen Ablegers, gegenüber der „Presse am Sonntag“ dieses Selbstverständnis. Sprich, in eine permanent fließende Onlinedebatte kann jeder jederzeit Ideen einspeisen und gegebenenfalls abstimmen: „Dieser Aufbau von der absoluten Basis her soll verhindern, dass wir wie die anderen Parteien werden.“ Natürlich dauere es seine Zeit, zu einem Thema einen Konsens zu finden: „So ist Demokratie nun einmal.“ Jeder kann also mitmachen. Offenbar will das aber gar nicht jeder.


Stammtisch-Philosoph. Das Wachstum wird dieser totalen Basisdemokratie wie einst bei den Grünen wohl eine Grenze setzen. „Wenn der Input weiter zunimmt, werden sich wohl automatisch Opinionleader herausbilden“, meint Michael, per Eigendefinition „Stammtisch-Philosoph“ der Schweizer Piraten. Das würde freilich der Gründungsphilosophie einigermaßen zuwiderlaufen. Die griechische Piratenpartei habe „fast keinen Vorsitzenden“, wird es deren Sprecher tags darauf auf den ironischen Punkt bringen.

Doch vor den Inhalt hat der Parteiengott die Geschäftsordnungsdebatte gesetzt – und da war mit Händen zu greifen, wie schwer man sich mit der Parteiwerdung tut: Als der Kongress wegen schleppender Registrierung mit mehr als einer Stunde Verspätung endlich beginnen konnte, („es ist viel besser als damals in Brüssel, da hat gar nichts funktioniert“, erinnert sich ein Veteran) gab es gleich ein ernstes Problem: Rund zehn Piratenparteien (welche, das kann der Sitzungsleiter zunächst leider selbst nicht beantworten) hatten Mitgliedschaft oder Beobachterstatus beantragt – der Großteil aber die gesetzte Frist versäumt. Was tun? „Wir sind doch alle Piraten und wollen dasselbe. Wir brauchen jeden, da darf eine Deadline nicht zählen“, wirbt der Deutsche Gregory Engels für Pragmatismus. „Wie können wir von Regierungen fordern, korrekt zu arbeiten, wenn wir uns nicht einmal an unsere eigenen Regeln halten?“, kommt sofort der Einwand. Entscheidung verschoben.

Engels erklärt, wie es so weit kommen konnte: Der Link für Bewerbungen habe zu einer alten Version der Geschäftsordnung geführt. Sprich: Die Piraten-Internationale hat den eigenen Internetauftritt nicht im Griff. Und die Konferenz nur partiell: Kurz vor der Mittagspause fällt plötzlich jemandem ein, dass man doch ein Tagungsprotokoll führen müsste. Freiwillige vor!


Eine Partei zu viel.
Den meisten Applaus aller Möchtegern-Mitglieder erhält Slim Amamou. Der tunesische Blogger war während der Revolution 2011 kurz im Gefängnis und durfte später vier Monate Staatssekretär spielen („Das war ein Spaß!“). Doch so einfach, wie sich Amamou den Beitritt vorgestellt hat, ist es nicht. Wie sich plötzlich herausstellt, gibt es in Tunesien nämlich gleich zwei Piratenparteien.

Einen scharfen Kontrast zu den organisatorischen Schwächen bildet der einnehmende Idealismus, den viele „einfache“ Piraten verströmen, etwa František aus Pilsen: „Weißt Du, die Tschechen sind gut darin, bei einem Bier über Politik zu lästern. Aber engagieren tut sich dann keiner.“ Das wollte er anders halten. Also nahm er alle Parteien unter die Lupe und entschied sich für die Piraten: „Die Einzigen, die noch nicht korrupt sind.“ Ihm liegt vor allem eine Vereinfachung der Gesetzgebung am Herzen: „Es sollte nur Gesetze geben, wo das unbedingt nötig ist. Und dann sollten sie so einfach wie möglich sein“, sagt er. Bei den zehn Geboten sei das ja auch gegangen.

Gegen Mitternacht geht es im „ U peronu“ an einem kleinen Tisch ans Eingemachte: Was tun mit jenen Mitgliedern, die die Onlinedebatten nur durch unqualifizierte Zwischenrufe und pauschale Ablehnung blockieren? Nach einigem Hin und Her fällt das ketzerische Wort: „Ausschluss“. Darf man das? Noch mehr: Darf man das als Pirat überhaupt denken? Gäbe es im realen Leben einen „Reset“-Button, er wäre jetzt gedrückt worden.

Was für sie das Wichtigste an dem Kongress sei? Ausnahmslos alle Befragten antworten sinngemäß wie Gastgeber Bartoš: „Dass ich die Leute, mit denen ich sonst nur online kommuniziere, endlich persönlich kennenlerne. Tief im Herzen sind also sogar die Piraten, digitale Avantgarde der Parteienlandschaft, erfrischend analog.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2012)

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