Sie sollte wichtige Einnahmen für das Budget bringen, jetzt schafft die Regierung in Großbritannien die Reichensteuer nach nur zwei Jahren wieder ab: Die höhere Abgabe schade mehr, als sie bringe.
Deutschland diskutiert darüber, Österreich und auch Frankreich; Portugal will auf diesem Weg seinen Haushalt sanieren; in den USA frischt Präsident Barack Obama den Wahlkampf damit auf: Die Frage, wie man die Reichsten eines Landes dazu bringen kann, einen substanziellen Anteil an Abgaben zu zahlen, beschäftigt derzeit die westliche Welt. Der Ruf nach einer „Reichensteuer“ ist derzeit eines der Mantras der Politik.
Worüber anderswo geredet wird, ist in Großbritannien nur noch für kurze Zeit Realität. Über zwei Jahre hat das Land den Versuch unternommen, Spitzeneinkommen besonders hoch zu besteuern. Den Schritt machte die damalige Labour-Regierung unter Gordon Brown im April 2010: Browns Schatzkanzler Alistair Darling hob die Steuerquote für Jahreseinkommen ab 150.000 Pfund auf 50 Prozent an und erwartete dadurch zusätzliche jährliche Einnahmen von 2,5 Milliarden Pfund.
„Schadet mehr, als es nützt“
Mittlerweile aber scheint klar, dass der Versuch erfolglos war. Wie eine Studie der britischen Steuerbehörde HM Revenues and Customs (HMRC) errechnet hat, könnte die sogenannte „50p Tax Rate“ in ihrer aktuellen Form sogar mehr schaden als nützen. Deshalb wird der Spitzensteuersatz ab kommendem Jahr wieder gesenkt.
Die HMRC-Analyse zeichnet ein deutliches Bild: Um die Steuer zu vermeiden, die ab April 2010 wirksam wurde, seien auf unterschiedlichen Wegen 16 bis 18 Milliarden Pfund Einkommen ins Vorjahr verschoben oder auf andere Weise an der Steuer vorbeigeschafft worden (siehe dazu auch Bericht auf Seite 2). Die von der Spitzensteuer Betroffenen (300.000 von 29 Millionen Steuerzahlern) reagierten daher in deutlich größerem Ausmaß auf die Politik, als es die Regierung um Gordon Brown erwartet hatte. Schätzungsweise nur „etwa eine Milliarde Pfund oder weniger“ habe HMRC durch den erhöhten Spitzensteuersatz eingenommen (bei insgesamt 592Milliarden Pfund an geplanten Einnahmen in dem Budgetjahr 2012/13).
Dabei könnte der Gesamteffekt sogar negativ sein. Weil hohe Steuern auf Einkommen einen Produktionsstandort unattraktiver machten, siedelten sich denn auch weniger Geschäfte in Großbritannien an oder verließen das Land. „Je länger diese Steuerrate bleibt, desto mehr Menschen begreifen sie als permanent. Das würde das britische Steuersystem weniger wettbewerbsfähig machen und der Wirtschaftsleistung schaden“, argumentiert die Studie.
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Steuervorteil gegenüber den USA
Dies entspricht Beobachtungen, dass die Mobilität von Arbeitskräften in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat. Rechtliche sowie bürokratische Hürden wurden reduziert, sodass allzu hohe Steuerraten in der Tat kontraproduktiv sein könnten. Die HMRC-Studie zitiert hier Evidenz aus den USA.
Großbritanniens aktueller Schatzkanzler, George Osborne, ein Gegner der „50p Tax Rate“, nahm die Analyse zum Anlass, den Satz ab April 2013 auf 45 Prozent zu reduzieren. So würden die Steuereinnahmen zwar zunächst um rund 100 Millionen Pfund sinken, der Standort Großbritannien würde aber gewinnen. In der vergangenen Woche stimmte das britische Unterhaus, House of Commons, den Plänen von Osborne zu. Zudem wird der Unternehmenssteuersatz von 25 auf 24 Prozent gesenkt und soll langfristig auf 20 Prozent fallen. So sei Großbritannien künftig „steuerlich günstiger als die USA, Japan und Deutschland“.
Dabei ist die „50p Tax Rate“, die derzeit höchste unter den G20-Ländern, bei der britischen Bevölkerung weiterhin beliebt. Eine Umfrage des linksliberalen „Guardian“ ergab, dass 79,5 Prozent für den Erhalt der Steuer sind. Abschaffen wollen die derzeitige Spitzensteuer nur 21 Prozent.
Labour fordert Steuer
Die Labour-Partei, die sich gegen die Reduzierung des Steuersatzes stellt, hat entsprechend reagiert. In einem Interview mit der BBC erklärte Oppositionsführer Ed Miliband, er würde die „50p Tax Rate“ wieder einführen, wenn die Briten ihn zum Premierminister wählten– auch wenn er damit die Staatsfinanzen nicht sanieren könnte.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2012)