Entgegen allen Prognosen setzt sich Oppositionschef Tomislav Nikolic gegen Boris Tadic durch. Folgen für die Regierungsbildung werden erwartet. Laut Beobachtern sei die Wahl ordentlich verlaufen.
Serbien hat am Sonntag einen politischen Erdrutsch erlebt. Der Chef der Serbischen Fortschrittlichen Partei (SNS), Tomislav Nikolic, hat entgegen allen Wahlprognosen in seinem vierten Anlauf seit 2003 die Präsidentschaftswahl gewonnen. Laut offiziellem Endresultat vom Montag erhielt er 49,51 Prozent der Stimmen. Amtsinhaber Boris Tadic kam auf 47,35 Prozent.
Die Wahlbeteiligung war mit 46,32 Prozent äußerst niedrig. Ganze 3,15 Prozent der Stimmzettel waren zudem ungültig. Die Wahl sei ordentlich verlaufen, sagen Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Zweimal, in den Jahren 2004 und 2008, musste der nun 60-jährige Nikolic in der Stichwahl eine Niederlage gegen Tadic, den Chef der Demokratischen Partei (DS), einstecken. Im Jahre 2003 war die Präsidentschaftswahl wegen niedriger Wahlbeteiligung annulliert worden. Nachdem die dem Demokraten Tadic zugeneigte Öffentlichkeit dem ehemaligen Nationalisten schon seine politische Pensionierung prophezeite, hat er es nun doch geschafft. Die niedrige Wahlbeteiligung begünstigte dabei seinen Wahlsieg.
Wie wird die Regierung aussehen?
Mit dem Wahlsieg von Nikolic werden auch die Karten für eine Regierungsbildung neu gemischt. Tadic hatte zwar in der ersten Wahlrunde am 6. Mai, die zugleich mit den Parlamentswahlen stattfand, gegen Nikolic knapp gewonnen hatte, und mit dem bisherigen Koalitionspartner, dem Sozialistenchef Ivica Dacic, eine erneute Regierungskoalition vereinbart.
Für Nikolic war eine solche Zusammenarbeit am Sonntagabend aber nicht gewiss. "Wer hat gesagt, dass die SNS-Vizevorsitzende Jorgovanka Tabakovic nicht die neue Regierungschefin sein wird?", sagte Nikolic. Den Auftrag für die Regierungsbildung vergibt der Präsident. Die SNS ist mit 73 Mandaten die stärkste Kraft im Parlament, vor der Demokratischen Partei mit 67 Sitzen. Die Sozialisten haben 44 Mandate.
Tadic: Sein Bündnis soll halten
Vor der Stichwahl hatte Nikolic unter den Parlamentsparteien nur die Unterstützung der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) des früheren nationalkonservativen Ministerpräsidenten Vojislav Kostunica erhalten. Diese hält 21 Mandate im 250-Sitze-Parlament. Will die SNS tatsächlich auch die neue Regierung bilden, braucht sie breitere Unterstützung. Tadic ließ allerdings wissen, dass seine bisherigen Bündnispartner das Lager nicht gewechselt hätten.
Nach Einschätzung der Experten ist die Lage schwierig. Eine Große Koalition wäre nun die einfachste Lösung, meint der Wirtschaftsexperte Miroslav Zdravkovic. Doch Tadic hatte vor den Wahlen eine solche Möglichkeit klar ausgeschlossen. Der Chef des Zentrums für Neue Politik, Vladimir Todoric, bekundete gegenüber Belgrader Medien unterdessen die Befürchtungen, dass Serbien angesichts des Kräfteverhältnisses im Parlament nicht so bald eine neue Regierung bekommen wird.
Seine erste Auslandsreise werde ihn sehr wahrscheinlich nach Russland führen, sagte Nikolic. Er sei am 25. Mai zum Parteitag der Regierungspartei "Geeintes Russland" eingeladen worden. Schon vor der Stichwahl hatte er ein anderes Ansinnen bekundet: Er werde um ein Treffen mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel ersuchen. "Deutschland ist der wichtigste Bündnispartner Serbiens in der Europäischen Union", unterstrich Nikolic nach dem Wahlsieg erneut.
Tadic' Anhänger blieben zuhause
Während die Anhänger der SNS vor allem im südserbischen Nis am Sonntagabend den unerwarteten Wahlsieg auf den Straßen feierten, war es im Sitz der Demokratischen Partei still. Die Wahlen hätten gezeigt, dass sich die Bürger Serbiens mehrheitlich wünschten, Tadic nicht mehr zum Staatschef zu haben, sagte ein Alliierter von Tadic, der Chef der Liga der Vojvodina-Sozialdemokraten (LVS), Nenad Canak. Es gebe es aber keinen Grund zur Traurigkeit. Es sei nicht das erste Mal, dass die Wahlen merkwürdige Resultate brächten, so Canak.
Enttäuscht wurde Tadic am Sonntag vor allem von seinen eigenen Anhängern, von denen sich viele offenbar entschlossen hatten, dem Urnengang fernzubleiben. Nikolic wusste andererseits in den letzten Wochen die breite Unzufriedenheit der Bevölkerung geschickt zu nutzen. Er verwies immer wieder auf die Wirtschaftsmisere, schleppende Justizreformen, Korruption und organisierte Kriminalität. Die Schuld daran hätten Tadic und seine regierende Demokratische Partei, betonte Nikolic unermüdlich bei seinen Wahlkundgebungen.
Der abgewählte Präsident versuchte sich am Wahlabend in Zuversicht. Er sei nicht enttäuscht, sagte Tadic am Sonntagabend. "Lasst uns in einem anderen Film sehen", sagte der Politiker am Schlusspunkt seiner achtjährigen Amtszeit.
(APA)