Das Oberste Gericht stimmte der Auslieferung des WikiLeaks-Gründers nach Schweden zu. Doch das Ausweisungsverfahren könnte neu aufgerollt werden. Derweil steht der 40-Jährige weiter unter Hausarrest.
London/J. k. WikiLeaks-Gründer Julian Assange steckte in der morgendlichen Londoner Rushhour fest. Und so blieb ihm erspart, die jüngste Niederlage im juristischen Tauziehen um seine drohende Auslieferung zu erleben: Das oberste britische Gericht entschied gestern, dass der europäische Haftbefehl gegen den umstrittenen Helden der Internet-Enthüllungsgemeinde rechtens ist. Demnach könnte Assange, der im Dezember 2010 festgenommen worden ist, nach Schweden ausgeliefert werden. Die dortigen Behörden wollen den Australier wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung vernehmen.
Doch der Supreme Court gewährte Assange erneut eine Galgenfrist: Seine Anwälte haben zwei Wochen Zeit, um die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen. Assanges Verteidigerin Dinah Rose hat zuvor erfolgreich argumentiert, dass die sieben Richter ihre Entscheidung mit dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge begründet hatten. Dieses Abkommen aber habe während der Beweisaufnahme im Februar keine Rolle gespielt. Es wäre das erste Mal, dass eine Entscheidung des erst 2009 gegründeten Supreme Court angefochten wird.
Doch selbst, wenn das Gericht eine Wiederaufnahme ablehnen sollte, ist der Fall noch nicht erledigt: Assanges prominente Unterstützer, wie etwa der Journalist John Pilger, kündigten an, dass sie dann vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen wollten. Eine schwedische WikiLeaks-Sprecherin machte gestern erneut die US-Regierung für das Verfahren verantwortlich. Vor Assanges Festnahme hatte WikiLeaks hunderttausende geheime US-Botschaftsdepeschen veröffentlicht. Assange hatte stets darauf beharrt, dass die Vorwürfe gegen ihn konstruiert seien.
TV-Talkshow mit Fußfessel
Derweil steht der 40-Jährige weiter unter Hausarrest: mit elektronischer Fußfessel im Herrenhaus eines Freundes in Suffolk. Statt weiterer Internet-Enthüllungen (WikiLeaks hat erhebliche Finanzprobleme) widmet sich Assange dort seiner Fernsehkarriere als Talk-Show-Gastgeber für den vom Kreml finanzierten englischsprachigen Sender „Russia Today“. Zu den bisherigen Gesprächspartnern gehörten Mitglieder der „Occupy“-Bewegung und Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2012)