"Weihnachtsmänner in der Politik sind sehr gefährlich"

Weihnachtsmaenner Politik sind sehr
Weihnachtsmaenner Politik sind sehr(c) AP (ALIK KEPLICZ)
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Der polnische Ökonom Leszek Balcerowicz hält nichts von Heilsversprechen einer auf Schulden basierten Wachstumspolitik, wie er im Gespräch mit der "Presse am Sonntag" erklärt.

Vor wenigen Wochen wurden Sie im „Spiegel“ mit der Aussage zitiert, Polens Ziel sei es nun, Deutschland ökonomisch einzuholen. War das ernst gemeint?

Leszek Balcerowicz: Ich bemühe mich nach Kräften, die Polen zu mobilisieren, damit ihnen der Reformeifer nicht abhanden kommt. 1989 lag das BIP pro Kopf in Polen bei weniger als 30 Prozent des deutschen Niveaus, momentan halten wir bei mehr als 50 Prozent. Es sollte möglich sein, mit Deutschland innerhalb der nächsten 20, 25 Jahre gleichzuziehen. Wobei ich zugeben muss, dass es ein ambitioniertes Ziel ist.

Und wie lässt es sich erreichen?

Polens Schwachstellen sind eine alternde Bevölkerung, dann ein Investitionsniveau, das mit rund 20 Prozent des BIPs relativ niedrig ist, und drittens eine Verlangsamung des Produktivitätswachstums. Folglich muss das Pensionseintrittsalter angehoben werden. Und die Mindestgehälter dürfen nicht zu hoch sein, weil das die Chancen der Jungen schmälert. Außerdem haben zu viele Jungakademiker Probleme mit der Arbeitssuche. Ohne jemandem nahetreten zu wollen: Ich habe den Eindruck, dass wir mittlerweile zu viele Soziologen und Politologen und zu wenige Ingenieure haben.

Polens Wirtschaft ist seit Anfang der 1990er-Jahre nicht mehr geschrumpft. Kann die aktuelle Eurokrise Polen gefährlich werden?

Dass wir die Finanzkrise 2008 relativ gut überstehen konnten, haben wir der konservativen Geldpolitik zu verdanken. Es gab in Polen keine Kreditexzesse wie anderswo. Unsere Fiskalpolitik war zwar nicht ideal, aber keinesfalls so schlecht wie jene Ungarns. Außerdem haben wir schon seit 1997 eine Schuldenbremse in der Verfassung. Das Schlimmste, was Polen in absehbarer Zeit passieren kann, ist eine deutliche Verlangsamung des Wachstums. Die Gefahr einer Rezession sehe ich nicht.

Sie haben die EU-Schuldenkrise als Chance und Anstoß zu Reformen bezeichnet. Angesichts der Entwicklungen in Griechenland: Sind Sie immer noch so optimistisch?

Es gibt Fortschritte, etwa die Liberalisierung der Arbeitsmärkte in Spanien oder Italien. Was Griechenland anbelangt: Dort hat man Steuern erhöht, die Ausgaben etwas gekürzt und kaum angebotsseitige Reformen unternommen – kein Wunder, dass die Wirtschaft kollabiert und der Ruf nach den Weihnachtsmännern von der EZB erschallt, die Geld drucken sollen, damit alles wieder gut wird.

Der Ruf nach der Europäischen Zentralbank ist aber auch in dem an sich reformwilligen Spanien zu vernehmen.

Ich hoffe, dass die EZB standhaft bleiben wird. Weihnachtsmänner sind in der Politik sehr gefährlich.

Glauben Sie, dass Griechenland noch eine Chance in der Eurozone hat?

Die Wahrscheinlichkeit eines chaotischen Zerfalls der Währungsunion ist sehr gering. Die Griechen müssten sich schon selbst aus der Eurozone schmeißen. Was wird passieren? In Athen wird es früher oder später eine Regierung geben, die vor der Wahl stehen wird: entweder das internationale Hilfsprogramm und die damit verbundenen Reformen oder der Austritt. Ich würde mir übrigens wünschen, dass die Linkspopulisten von Syriza die Parlamentswahl am 17. Juni gewinnen.

Warum?

Weil sie dann zähneknirschend die von ihnen als „barbarisch“ bezeichneten Reformen umsetzen müssten. Ansonsten gäbe es kein Geld von EU und IWF – und dann würde Syriza die Ausgaben noch stärker kürzen müssen.

Die griechische Linke hat aber das Gefühl, dass sich das politische Pendel in ihre Richtung bewegt. In Frankreich ortet der neue Staatschef einen Widerspruch zwischen Wachstum und Budgetsanierung.

Ich wundere mich, dass man heutzutage immer noch politischen Slogans aufsitzt. François Hollande hat einen Wahlkampf zu führen und verhält sich entsprechend. Sollte er versuchen, diese Slogans tatsächlich umzusetzen, werden ihn die Anleihe-Investoren rasch auf den Boden der Realität zurückholen. Gegen die Finanzmärkte kann man nicht gewinnen. Man kann sie nur abschaffen.

Hollandes sozialistischer Vorgänger François Mitterrand hat Anfang der 1980er-Jahre genau das versucht ...

... und wir wissen genau, wie es für ihn ausgegangen ist. Diese Episode hat man in Paris nicht vergessen.

Sie halten also Hollandes Ouvertüre für Theaterdonner?

Es ergibt überhaupt keinen Sinn, Wahlpropaganda ernst zu nehmen. Wir sollten uns stattdessen die Köpfe darüber zerbrechen, wie wir das Wachstum ankurbeln können. Da nehme ich auch die Deutschen in die Pflicht, die ihren Dienstleistungssektor öffnen sollten – das würde nicht nur Deutschland, sondern auch dem Rest der EU zugutekommen. Europa braucht einen funktionierenden Binnenmarkt – und keine Angst vor polnischen Installateuren.

vita

1947
Leszek Balcerowicz wird in Lipno geboren. Er studiert Außenhandel. In den 1980er-Jahren ist er Berater der Solidarność.

1989–1991
Als Vizepremier und Finanzminister stellt er im Rahmen des „Balcerowicz-Plans“ Polen von Plan- auf Marktwirtschaft um.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2012)

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