Ein "Superheld" mit leisen Selbstzweifeln

Superheld leisen Selbstzweifeln
Superheld leisen Selbstzweifeln(c) Goleminov
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Die Wirtschaft ist krisenfest, der Ruf im Ausland ausgezeichnet - die Erfolge der vergangenen Jahre haben Polen selbstbewusst gemacht. Doch der Aufholprozess ist noch lange nicht abgeschlossen.

Warschau. Diese Rolle gefällt Warschau: Während Berlin einen immer aussichtsloseren Kampf für eine „Stabilitätsunion“ in der EU führt, hat Polen neben Großbritannien als einziges Nichteuroland eine mächtige eigene Stimme in der Diskussion gewonnen. Erst vorige Woche bereiste Deutschlands Finanzminister Philipp Rösler neben den Niederlanden, Finnland und Estland auch Polen auf seiner Suche nach Unterstützung für seine harte Eurolinie.

Doch Finanzminister Jacek Rostowski bemühte sich um Unterstützung und Mahnung zugleich. Europa befände sich in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, erhob der Pole seinen Zeigefinger: „Ein Zerbrechen der Eurozone hätte katastrophale Folgen“, warnte Rostowski nach dem Treffen mit Rösler. „Auch politische“, fügte der Finanzfachmann scharfzüngig hinzu.

„Keine Rabatte auf Reformen“, hatte Rösler auf seiner Nordeuropareise immer wieder wiederholt. In Warschau wurde indes klar, dass sich Polen langsam von der Allianz mit Berlin zurückzieht und die unnachgiebige Linie gegen neue Anleihenkäufe durch die EZB nicht mehr voll mitträgt. Stattdessen fordert Polen nun implizit mehr Engagement von Nettozahlern wie Deutschland. Der Euroraum müsse als Ganzes gerettet werden, lässt Warschau dabei durchblicken.

Hundesalon und Psychoanalyse

Noch vor 20 Jahren ächzte Polen selbst unter einem Schuldenberg und kämpfte mit einer Hyperinflation. Ein Schuldenerlass hat das Land zusammen mit Leszek Balcerowiczs Schocktherapie auf den Wachstumspfad zurückgebracht. Heute sind in Polen auf Schritt und Tritt Wohlstandsphänomene auszumachen. Humanitäre Organisationen werben um Spenden für Brunnen in Afrika, Hundesalons machen sich selbst in ärmeren Stadtvierteln breit, eine Psychoanalyse gehört in vielen Kreisen zum guten Ton, genauso wie immer ausgefallenere Urlaubsreisen. Mit Pauschalarrangements in der Türkei und Ägypten geben sich immer weniger Polen zufrieden, und an der polnischen Ostseeküste blüht der Ferienwohnungsmarkt.

„Polen will die treibende Kraft in der EU werden“, sagt Regierungschef Donald Tusk zuversichtlich und selbstbewusst zugleich. Untermauern kann die polnische Regierung ihren Anspruch mit den soliden Wachstumszahlen. Sogar im Krisenjahr 2009 legte Polens Wirtschaft noch um 1,7 Prozent zu. Nach sage und schreibe 4,3 Prozent 2011 wird heuer laut Rostowski mit 2,5 Prozent gerechnet. Solche Zahlen bestechen.

Dazu kommt ein politischer Leistungsausweis, der in immer weiteren EU-Kreisen anerkannt wird. Polen hat im vergangenen Jahr während seiner EU-Ratspräsidentschaft gezeigt, dass es ins Kostüm eines selbstlosen Superhelden schlüpfen und sich konstruktiv und uneigennützig für das Gemeinwohl einsetzen kann. Experten sind positiv überrascht, wie schnell Warschau nach den unnachgiebigen Beitrittsverhandlungen der postkommunistischen Regierung unter Leszek Miller und Marek Belka sowie der Herrschaft der europaskeptischen Kaczyński-Zwillinge zu einer Sprache des Kompromisses gefunden hat. Präsident Lech Kaczyńskis Widerstand gegen den Vertrag von Lissabon vermag Polens Ruf in der EU heute kaum mehr zu belasten.

Auch die gerade erfolgreich veranstaltete Fußball-EM hebt das Selbstvertrauen. Statt sich als ewige Opfer der Weltgeschichte zu zelebrieren, haben die Polen begonnen, stolz Flagge zu zeigen. Einfach so – fröhlich und positiv.

Es ist nicht alles Gold, was glänzt

Dass dabei nicht alles Gold ist, was glänzt, zeigt die Affäre um die Quasibank „Amber Gold“. Zehntausende haben ihre Ersparnisse dem Investitionsfonds anvertraut, der Mitte August seine Liquidierung ankündigte. Trotz Warnungen der staatlichen Bankenaufsicht konnte die Firma jahrelang unbehelligt Millionen verwalten und mit einer eigenen Billigfluggesellschaft die staatliche Fluggesellschaft LOT in Bedrängnis bringen. Heute ist das meiste Geld spurlos verschwunden – auch wenn der Inlandsgeheimdienst am Wochenende 57 kg Gold in vier Wohnungen des Firmenchefs sicherstellen konnte.

Zudem gilt in Polen immer noch, dass ein Wahlsieg Zugang zu Beamtenposten bedeutet. Statt des versprochenen Abbaus der Bürokratie führte die bereits einmal wiedergewählte, liberale Regierung Tusk zu deren Ausbau. Auch die Arbeitslosenquote von 13 Prozent und das vergleichsweise geringe Monatseinkommen von umgerechnet durchschnittlich 900 Euro drücken zumindest in Polen selbst die Euphorie. Doch das alles tut einem positiven Grundgefühl im Land keinen Abbruch.

Auf einen Blick

Polen hat im vergangen Jahr während seiner EU-Ratspräsidentschaft gezeigt, dass es sich konstruktiv und uneigennützig für das Gemeinwohl einsetzen kann. Auch die gerade erfolgreich veranstaltete Fußball-EM hebt das Selbstvertrauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2012)

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