EU-Ausgaben gegen den Terrorismus versiebzehntfacht

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Symbolbild(c) REUTERS (SRDJAN ZIVULOVIC)
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Das Europaparlament, allen voran die Fraktion der Liberalen, fordert zehn Jahre nach Anschlägen vom 11. September 2001 in New York jetzt eine Auflistung von Kosten, Nutzen und Schaden der Anti-Terror-Maßnahmen.

Brüssel. Wie viel Geld haben die EU und ihre Mitglieder seit den Anschlägen vom 11. September 2001 für den „Kampf gegen den Terrorismus“ ausgegeben? Was hat das gebracht? Und wie wurden dabei die bürgerlichen Freiheiten der Europäer beschnitten?

Drei Fragen, eine Antwort, und zwar: So richtig weiß das niemand. Denn nirgendwo in Europa – weder in den nationalen Regierungen noch in Brüssel – wurden bisher die zahlreichen Maßnahmen in Bereichen wie Geheimdienst, Polizei, Grenzschutz, Verkehr, Telekommunikation systematisch erfasst. Das Europaparlament, allen voran die Fraktion der Liberalen, will das ändern. Bei seiner nächsten Vollversammlung in Straßburg wird das Parlament die Kommission dazu auffordern, bis März 2012 „einen vollständigen und ausführlichen Bericht über alle EU-Mittel zu erstellen, die direkt oder indirekt zur Terrorismusbekämpfung verwendet werden“, wie es im Entwurf der gegenständlichen Entschließung heißt.

Anstieg von 5,7 auf 93,5 Millionen Euro

„Man kann in einer Demokratie keine vernünftigen Entscheidungen treffen, wenn man deren zu erwartende Kosten nicht kennt“, sagte die Verfasserin der Entschließung, die niederländische Mandatarin Sophie in 't Veld, am Donnerstag in Brüssel. „In keinem anderen Politikbereich ist das möglich.“

Das Parlament hat selber versucht, die Kosten der Anti-Terrorismus-Maßnahmen der Union zu beziffern. In einer von ihm beauftragten aktuellen Studie kam das Beratungsunternehmen PriceWaterhouseCoopers zum Schluss, dass die diesbezüglichen Ausgaben aus dem EU-Haushalt im Jahr 2001 5,7 Millionen Euro ausmachten. 2009 waren es bereits 93,5 Millionen Euro.

Diese Versiebzehnfachung bezog sich aber, wie gesagt, nur auf das EU-Budget, das im langjährigen Durchschnitt rund einem Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung entspricht. Wie stark die terrorismusbezogenen Ausgaben der EU-Staaten seit 9/11 gewachsen sind, weiß niemand. Und auch nicht, welche finanziellen Folgen all die neuen Sicherheitsanforderungen für die Privatwirtschaft und die Verbraucher hatten. Ein Blick in eine frühere Studie der Kommission veranschaulicht die Dimension der möglichen finanziellen Belastungen. Vor dem 11. September 2001 machten Ausgaben für die Sicherheit durchschnittlich fünf bis acht Prozent der gesamten Kosten von Flughäfen aus. Nach den Anschlägen stieg ihr Anteil auf 35 Prozent.

Kontrolle für Ashtons EU-Geheimdienst

Die Europaabgeordneten interessieren sich zudem für die Auswirkungen von 9/11 auf die Grundrechte der europäischen Bürger. „Denn das ist der Preis, den wir dafür zahlen“, sagte in 't Veld. Sie ist im Parlament eine der eloquentesten Kritikerinnen der umfassenden Überwachung der Bürger auf dem Weg der Speicherung von immer mehr Daten über Flugpassagiere, Banküberweisungen sowie Telefongespräche und E-Mail-Verkehr. „Wir werden in den nächsten Tagen der Opfer des 11. September gedenken – aber nicht jener Menschen, die in Europa in den letzten Jahrzehnten für bürgerliche Freiheiten gekämpft haben“, sagte sie in Anspielung vor allem auf die osteuropäischen Dissidenten, die sich im Sowjetsystem und seinen Vasallenstaaten für Meinungsfreiheit, Recht auf Privatsphäre und ähnliche Freiheitsrechte eingesetzt hatten. „Wenn wir diese Freiheiten verraten, verraten wir auch diese Menschen.“

Das Parlament hat im vergangenen Jahr für Schlagzeilen gesorgt, als es die Kommission und die US-Regierung dazu zwang, das umstrittene Abkommen über die geheimdienstliche Untersuchung von Banküberweisungsdaten – vulgo „Swift-Abkommen“ – um grundrechtliche Garantien zu ergänzen.

Die Schaffung des „Europäischen Auswärtigen Dienstes“ (das ist der Beamtenapparat, welcher der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton untersteht) eröffnet eine neue politische Front, dieses Mal zwischen Parlament und Rat. Denn Ashton bekommt auch ein sogenanntes „Situation Centre“ zur Verfügung gestellt, also ein gemeinsames Lagezentrum, das dauernd Informationen der nationalen Geheimdienste verarbeitet, um der Hohen Vertreterin eine sachliche Grundlage für ihre Entscheidungen zu geben. Dieses SitCen untersteht derzeit keiner Kontrolle, kritisierte in 't Veld: „Wenn wir so etwas wie einen europäischen Geheimdienst gründen, dann sollten wir ihm auch eine parlamentarische Kontrolle verschaffen.“ Daran haben aber weder Ashton noch die nationalen Sicherheitsdienste ein großes Interesse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2011)

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