Eine Hofburg abseits von Rot und Schwarz?

Bundespräsidentschaftswahl 2016
Bundespräsidentschaftswahl 2016(c) APA/HANS PUNZ (HANS PUNZ)
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Sechs Kandidaten stehen heute für das höchste Amt im Staat zur Wahl. Umfragen sehen den ehemaligen Grünen-Chef Van der Bellen, FPÖ-Kandidat Hofer und die unabhängige Juristin Griss als Favoriten. Den Regierungsparteien droht ein Debakel.

Die Bundespräsidentschaftswahl 2016 könnte eine historische Wende bringen: Drei Kandidaten sagen die Umfragen Chancen auf den Sprung in die Stichwahl voraus, und keiner davon ist von den einstigen Großparteien SPÖ und ÖVP ins Rennen geschickt worden. Stimmen die Prognosen, wird das neue Staatsoberhaupt ein Grüner (Alexander Van der Bellen), ein Freiheitlicher (Norbert Hofer) oder eine Unabhängige (Irmgard Griss). Die bisher in der Zweiten Republik direkt gewählten Präsidenten gehörten stets entweder SPÖ oder ÖVP an oder wurden von einer der beiden Parteien nominiert.

Der frühere Grünen-Chef Van der Bellen dominiert die Umfragen seit Monaten (zuletzt 25 bis 26 Prozent). Im Wahlkampffinale gefiel er sich auch selbst in der Rolle des Favoriten, nachdem er sich in den ersten Wochen standhaft als Außenseiter präsentiert hatte. Grobe Schnitzer leistete sich der besonnene Professor im Wahlkampf keine, schaden könnte ihm eventuell, dass er in der Flüchtlingspolitik als Vertreter der "Willkommenskultur" wahrgenommen wird. Für Aufregung sorgte auch seine Ankündigung, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache nicht als Bundeskanzler angeloben zu wollen.

Profitieren von der Asylkrise dürfte hingegen der freiheitliche Vizeparteichef Hofer. Das "freundliche Gesicht der FPÖ" ist inhaltlich auf strikter Parteilinie, tritt im Vergleich zu Strache aber zahmer auf. Damit könnte der jüngste Kandidat im Bewerberfeld auch Wählerschichten außerhalb des blauen Kernspektrums ansprechen. In den letzten Umfragen vor der Wahl lag Hofer nur ein bis vier Prozentpunkte hinter Van der Bellen. Zu Beginn des Wahlkampfs hätte ihm das wohl kaum jemand zugetraut, war der Dritte Nationalratspräsident für Strache doch nur zweite Wahl hinter Ursula Stenzel und musste zum Antritt auch selbst überredet werden.

Griss als einzige Frau und einzige Parteilose

Auch Griss' Umfragewerte (vier bis sechs Prozentpunkte hinter Van der Bellen) stehen besser, als es ihr anfangs zugetraut wurde. Als einzige parteilose Kandidatin hat die ehemalige OGH-Präsidentin in Zeiten massiver Politverdrossenheit zweifellos einen unschätzbaren Vorteil. Wahlkampf-Attacken wegen ihrer Aussagen zur NS-Zeit (Griss hatte gesagt, die Nazis hätten anfangs nicht "nur ein böses Gesicht gezeigt") dürften im rechtschaffenen (wenn auch etwas farblosen) Bild der Juristin maximal kleine Kratzer hinterlassen haben.

SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfer könnte es am Wahlabend bereuen, sein Amt als Sozialminister für die Präsidentschaftskandidatur geopfert zu haben. Eigentlich als volksnah geltend, wirkte er bei TV-Auftritten gereizt und lustlos. Vor allem aber dürfte er - ebenso wie sein ÖVP-Konterpart Andreas Khol - am Sonntag den Unmut der Wähler über den rot-schwarzen Stillstand in der Bundesregierung zu spüren bekommen. Am Anfang durchaus noch vorne mit dabei, sahen die Meinungsforscher bei Hundstorfer einen Negativtrend hin zu nur noch 14 bis 16 Prozent.

Für Khol kommt noch ein Fehlstart hinzu, wurde doch monatelang Erwin Pröll als ÖVP-Kandidat gehandelt, bis dieser abwinkte und den Stab an die zweite Wahl weitergab. Und auch im Wahlkampffinale warf der niederösterreichische Landesfürst dem Kandidaten noch Steine in den Weg: Die schwarze Rochade zwischen Innenministerium und St. Pöltner Landesregierung verdrängte den schwarzen Kandidaten zeitweise aus den Schlagzeilen. Auch wenn Khol mit energiegeladenen Wahlkampf- und TV-Auftritten versuchte zu retten, was zu retten war: Die jüngsten Umfragen sehen ihn sogar in Gefahr, nur ein einstelliges Ergebnis einzufahren.

Und dann gibt es noch den selbsternannten Kasperl Richard Lugner, der selbst zwar chancenlos ist, letztlich aber doch den einen oder anderen Kandidaten entscheidende Prozentpunkte kosten könnte. Schließlich zeichnet sich ein knappes Rennen an der Spitze ab. Denkbar wäre sogar, dass die Besetzung der Stichwahl erst am Montag, wenn die Briefwahlstimmen ausgezählt werden, feststeht.

Asyl und Amtsverständnis dominierten Wahlkampf

Neben dem Flüchtlingsthema dominierte den Wahlkampf die Diskussion um die tatsächliche und die eingebildete Macht des Präsidenten. Van der Bellen will Strache nicht angeloben, Hofer hätte die Regierung wegen deren Flüchtlingspolitik schon im Sommer entlassen, Lugner will keine große Koalition zulassen. Dass die Macht des Präsidenten auf dem Papier zwar groß ist, er sich aber mit realpolitischen Gegebenheiten und Mehrheiten im Parlament abfinden muss, ging in der Debatte gern unter. Überhaupt schien es im Wahlkampf oft, als würde am 24. April der Gesetzgeber gewählt und nicht ein Organ, das die Unterschrift unter Gesetze nur in engen Ausnahmefällen verweigern darf.

Auf die Regierung könnte die Wahl an sich letztlich größeren Einfluss haben als der künftige Bundespräsident durch sein Wirken. Das drohende Debakel für Hundstorfer und Khol hat bereits Spekulationen über eine Ablöse des SPÖ- und/oder des ÖVP-Parteichefs hervorgerufen. Beides ist zwar höchst unwahrscheinlich, zumindest aber dürfte die Koalition versuchen, mit Aktionismus Vertrauen zurück zu gewinnen. Zwei Tage nach der Wahl soll eine Klausur zum Thema Integration stattfinden, weitere zwei Tage später werden die jüngst beschlossenen Asyl-Verschärfungen im Nationalrat abgesegnet. 

Auch für die Wähler wird nach der Wahl wohl vor der Wahl sein: Dass ein Kandidat im ersten Durchgang die absolute Mehrheit erreicht, gilt als ausgeschlossen. Die Stichwahl ist für den 22. Mai angesetzt. Angelobt wird der Nachfolger von Heinz Fischer erst am 8. Juli.

Die erste Hochrechnung wird am Sonntag um 17 Uhr vorliegen. Das vorläufige Endergebnis wird gegen 19:30 Uhr vom neuen Innenminister Wolfgang Sobotka verkündet.

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