Wählerstrom: Wie Van der Bellen seine neuen Wähler fand

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Der Ex-Grünen-Chef konnte die Nichtwähler in den vergangenen sechseinhalb Monaten besser mobilisieren als FPÖ-Kandidat Norbert Hofer. Wer die ÖVP-Sympathisanten mehrheitlich auf seine Seite ziehen konnte, ist umstritten.

Wien. Es waren zwei idente Wahlen mit zwei in ihrer Deutlichkeit doch sehr unterschiedlichen Ergebnissen: Während Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer (FPÖ) bei der Wahl im Mai nur 0,6 Prozentpunkte trennten, dürften es bei der nun geschlagenen Wahlwiederholung laut Hochrechnung inklusive Wahlkartenprognose mehr als sechs Prozentpunkte sein. Das vorläufige Endergebnis lag zu Redaktionsschluss noch nicht vor. Damit dürfte der Unterschied von vormals lediglich 30.863 Stimmen in den vergangenen sechseinhalb Monaten auf mehr als 300.000 angewachsen sein. Ein Erklärungsversuch.

Woher die Wähler kamen

Van der Bellen mobilisierte besser als Hofer. Der Professor konnte mehr vormalige Nichtwähler zu den Urnen locken. 169.000 waren es konkret. Er verlor aber auch 25.000 Stimmen im Vergleich zur Stichwahl im Mai. Bleibt immer noch ein Stimmenzuwachs von 144.000. Das geht aus der Wahltagsbefragung von Sora für den ORF hervor. Bei Hofer sieht das anders aus. 70.000 seiner einstigen Wähler blieben diesmal lieber zu Hause. 33.000 neue Bürger konnte er gewinnen. Das bleibt insgesamt aber ein Wählerverlust. Und auch wenn Van der Bellen trotz seines Buhlens um Wählerstimmen auf dem Land ebendort erneut hinter Hofer zu liegen kam, hatte er im Vergleich zum Mai auch in ländlichen Regionen Zugewinne. Seine Strategie scheint ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben. Insgesamt konnte Van der Bellen in mehr als 280 Gemeinden das Ergebnis zu seinen Gunsten drehen. Hofer schaffte das nur in einer.

Wie sie bisher stimmten

Schon nach dem ersten Wahldurchgang im April begann zwischen Van der Bellen und Hofer der Kampf um die Griss-, Hundstorfer-, Khol- und Lugner-Stimmen. Bis zuletzt galt vor allem die große Gruppe der liberalen und konservativen Wähler als hart umkämpft. Es wurde quasi um die ÖVP-Klientel gerungen. Wer das Match für sich entscheiden konnte, ist auch nach der Wahl schwer zu beurteilen. Es gibt unterschiedliche Interpretationen. Laut Sora wählten 55 Prozent und damit die Mehrheit der ÖVP-Sympathisanten den Ex-Grünen-Chef und nur 45 Prozent den FPÖ-Kandidaten. Das deutsche Institut für Wahl-, Sozial- und Methodenforschung kommt zu einem etwas anderen Schluss. Demnach haben mehr einstige ÖVP-Wähler Hofer (43 Prozent) als Van der Bellen (39 Prozent) gewählt. Die restlichen 18 Prozent seien der Wahl ferngebleiben. Doch auch dieses Institut erkennt bei den ÖVP-Wählern einen Trend in Richtung Van der Bellen. Im Vergleich zur Stichwahl im Mai ist der Anteil der Van-der-Bellen-Wähler unter den ÖVP-Sympathisanten um vier Prozentpunkte gestiegen, jener der Hofer-Wähler um drei Punkte gesunken. Die Mehrheit der SPÖ-Wähler hat laut beider Institute Van der Bellen die Stimme gegeben. Grün- und Blau-Wähler entschieden sich freilich entsprechend der Parteifarbe.

Wie die Wähler ticken

Durch die zwei Wählerschaften ziehen sich klare Trennlinien. Sie heißen unter anderem: Geschlecht, Alter, Ausbildung und Beruf (siehe Grafiken). Van der Bellen konnte vor allem die Frauen mobilisieren. 62 Prozent gaben ihm die Stimme. Bei den Männern waren es nur 44 Prozent. Hofer wiederum punktete bei den Männern. Die jungen Wähler wurden deutlich stärker von Van der Bellen angesprochen. Bei den unter 30-Jährigen kam er auf 58 Prozent. Dass die Aktualisierung des Wählerverzeichnisses, durch die es 45.600 zusätzliche 16-jährige Wahlberechtigte gab, das Ergebnis zugunsten Van der Bellens verschob, wie es die FPÖ behauptete, ist nur in kleinem Ausmaß möglich. Am Hofer-affinsten zeigten sich übrigens die 30- bis 59-Jährigen. Hier gaben 58 Prozent Hofer die Stimme. Auch zwischen Wahlentscheidung und Bildungsabschluss zeigen sich erneut Zusammenhänge. Während unter den Personen mit maximal Pflichtschulabschluss 53 Prozent und unter jenen mit Lehrabschluss 64 Prozent Hofer wählten, waren es unter den Akademikern lediglich 17 Prozent. Die einst traditionell rote Arbeiterschaft gab zu 85 Prozent dem FPÖ-Kandidaten die Stimme. Angestellte wählten zu 60 Prozent Van der Bellen.

Was sie sich erwarten

In Bezug auf die Zukunft sind Van-der-Bellen- bzw. Hofer-Wähler geteilter Meinung: 70 Prozent der Hofer-Wähler sind pessimistisch. Bei den Van-der-Bellen-Wählern sind es nur 30 Prozent. Sie erwarten sich von Van der Bellen vor allem eine gute Vertretung im Ausland und eine proeuropäische Haltung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2016)

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