Atomkraft: Litauisches Milliardengrab

Atomkraft Litauisches Milliardengrab
Atomkraft Litauisches Milliardengrab(c) EPA (VALDA KALNINA)
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Das Abwracken des Kernkraftwerks Ignalina steckt fest. Brüssel droht Vilnius mit einem Förderstopp.

Brüssel. Litauen durfte im Jahr 2004 unter anderem nur darum der EU beitreten, weil es sich verpflichtete, sein veraltetes Atomkraftwerk vom Tschernobyl-Typ in Ignalina abzuwracken. Doch nach mittlerweile acht Jahren haben sich die zu erwartenden Kosten dafür von zwei Milliarden auf mindestens 2,9 Milliarden Euro erhöht. Der Plan, bis 2029 alle Brennstäbe entsorgt und sämtliches verstrahltes Erdreich sicher gelagert zu haben, scheint immer fragwürdiger. Und seit Monaten stehen die Arbeiten still, weil sich Litauens Energieministerium und das mit dem Abbruch beauftragte Unternehmen, eine Tochterfirma des staatlichen russischen Kernkraftkonzerns Atomstroiexport, zanken.

Vilnius versäumt Frist

Nun läuft die Zeit für Litauens Regierung ab, und Brüssel droht mit dem Stopp zusätzlicher Subventionen für den Abbau von Ignalina. „Erst wenn wir die Details kennen, können wir zusammen mit den anderen Gebern und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung entscheiden, wie es weitergeht und ob und wenn ja, wer die Mehrkosten trägt“, teilte eine Sprecherin von EU-Energiekommissar Günther Oettinger auf Anfrage der „Presse“ mit.

Experten der Kommission hatten sich vergangene Woche mit litauischen Behördenvertretern getroffen, um herauszufinden, wie es mit dem Abbruch von Ignalina aussieht. Der Betreiber von Ignalina und das mit den Arbeiten beauftragte Unternehmen Nukem Technologies, eine frühere Tochtergesellschaft des deutschen Energiekonzerns RWE, die seit Dezember 2009 Atomstroiexport gehört, liegen sich über die Kosten und den Fortgang der Arbeiten in den Haaren.

Nun hätten sich die Streithähne geeinigt, teilte die Kommissionssprecherin mit. Worauf, ist offen. Im Lauf dieser Woche wolle Vilnius einen Bericht über den Stand der Dinge nach Brüssel schicken. Die Frist vom 15.Juli konnten sie damit also entgegen ihrer Versprechungen nicht einhalten. Und das hat ziemlich happige finanzielle Auswirkungen. Aus dem EU-Haushalt wurden für das Abwracken von Ignalina bisher 1,45 Milliarden Euro bereitgestellt. Doch bei einem Vor-Ort-Besuch in der vergangenen Woche kritisierte der liberale deutsche Europaabgeordnete Michael Theurer, dass die litauische Regierung weniger als die Hälfte dieses Betrages tatsächlich abgerufen habe.

Probleme in Bohunice, Kosloduj

Und dennoch verlangt Vilnius für die nächste siebenjährige Finanzperiode ab dem Jahr 2014 mindestens 700 Millionen Euro zusätzlich für Ignalina. Die Kommission bietet höchstens 210 Millionen Euro. Und erforderlich sind, wie der EU-Rechnungshof im heurigen Februar alarmiert feststellte, nun eben ohnehin rund 2,9 Milliarden Euro.

Aus eigener Kraft wird Litauen die bisher ungedeckten Mehrkosten von laut Rechnungshofbericht rund 1,48 Milliarden Euro nicht stemmen können. Zum Vergleich: Die gesamten Einnahmen der Regierung im Jahr 2011 betrugen laut Statistik des Finanzministeriums knapp 5,7 Milliarden Euro.

Und auch bei den beiden anderen abgeschalteten, aber nicht stillgelegten Kraftwerken sowjetischen Typs im slowakischen Bohunice und im bulgarischen Kosloduj gibt es Kostenüberschreitungen von insgesamt einer Milliarde Euro. „Die Kommission zahlt nicht automatisch für Kostensteigerungen, sondern nur in konkret gerechtfertigten Fällen“, hält die Sprecherin Oettingers fest.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2012)

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